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Berlin: Hans Zeitke (Geb. 1934)

Sein Traum: ein Haus. Unbedingt ein Haus!

Von David Ensikat

Biesdorf, tief im Osten von Berlin. Eine Trauerfeier wie diese hat es hier noch nie gegeben. So viele Männer auf dem Friedhof, kaum Frauen. Und sie sind so gut gekleidet. Hans Zeitke wird zu Grab getragen, ein Mann, dem das gepflegte Äußere ein Anliegen war. Ein Mann, der ein Vorbild war für viele Männer.

Nach der Bestattung geht es ins Restaurant, das Buffet ist großzügig, niemand soll sagen, dass es bei Hans Zeitkes Feier an irgendetwas mangelte – außer an ihm. Er hat sich um das alles noch gekümmert.

Mach dich nützlich, das war der Ratschlag seiner Mutter. Sie hätte das jedem auf dem Weg gegeben, Hans aber ganz besonders, ihrem Hans, den sie so liebte. Für Hans war sie die einzige Frau, die er je liebte. Denn eigentlich liebte Hans die Männer.

Er war 31, als die Mutter es erfuhr. Er wohnte damals noch bei ihr.

Hans hatte einen Mann kennen gelernt, mit dem es ihm ganz ernst war, ein junger Doktor, ein angesehener Mann mit guten Manieren. Den würde die Mutter bestimmt auch mögen. Es war der 25. November 1965, eine Modenschau in der sowjetischen Botschaft Unter den Linden. Klaus kann sich noch gut erinnern: Hans, auf dem Laufsteg, sah so gut aus, so männlich und, wie er sich bewegte, ganz klar, auch schwul. Klaus sprach ihn an, und sie verabredeten sich für ein weiteres Treffen. Das wäre beinahe das letzte gewesen, denn Klaus war Arzt beim Militär, und er trug an diesem Tag die Uniform. Hans und ein NVA-Offizier? Undenkbar. Andererseits hatte dieser NVA-Offizier einen neuen cremefarbenen Wartburg, der Hans sehr gefiel. Und sah man mal von der Uniform ab, gefiel Hans ja auch der Rest an diesem Mann. So lud er ihn nach Hause ein, immer mal wieder. Zu sehen, dass ihren Sohn und diesen Doktor mehr verband als eine gute Freundschaft, überforderte die Mutter. Es waren die sechziger Jahre, sie war eine Oranienburger Fleischerswitwe. Wenn Klaus kam, ging sie hinunter in den Keller. Dass Klaus auch über Nacht bleiben sollte – das ging zu weit.

Sie war eine resolute Frau, und mindestens so resolut war ihr Sohn Hans. Er drohte mit dem Schlimmsten: Er würde ausziehen, für immer, wenn Klaus nicht übernachten durfte. Er kam für die Wochenenden von weit her, da musste das doch möglich sein! Die Mutter wusste, sie würde ihren Sohn verlieren – und willigte schließlich ein. Klaus durfte in der Wohnstube schlafen, Hans im Schlafzimmer neben ihr.

Viele Jahre lang sahen sich Hans und Klaus nur an den Wochenenden. Klaus, der Armeearzt, hatte eine Dienstwohnung an seinem Stationierungsort, Hans arbeitete in Berlin-Lichtenberg. Im Volkseigenen Betrieb „Fortschritt Herrenbekleidung“ war er Zuschneider und entwarf auch Kleidungsstücke. Sein Fleiß und seine Begabung fielen auf, ebenso sein Aussehen und seine Konfektionsgröße, eine „absolute 48“. Hans passte perfekt in die Prototypen neu entworfener Modelle, er konnte sich darin bewegen, und weil er gut aussah, sahen sie auch gut an ihm aus. Ein Bilderbuchmann, dunkles, volles Haar, gescheitelt, gerade Nase, markantes Kinn, gelassen-ernster Blick. Er passte so gut in die „Fortschritt“- Kleidung, dass ihn auch andere Betriebe baten, ihre Produkte zu bewerben. Hans lief über Laufstege, Hans ließ sich mit Regenschirmen fotografieren, war Hut-Modell und hielt sich fürs Foto einen „Bebo Sher“ ans glatte Kinn, den Elektrorasierapparat des VEB „Bergmann Borsig“.

Bis er 40 war, arbeitete Hans nebenher als Dressman und als Werbemodell – und verdiente gut. Was wichtig war, denn er hatte einen teuren Traum: ein schönes Haus mit schönem Garten. Seit 1970 hatten Klaus und er zwar eine Mansardenwohnung in Oberschöneweide, die aber war klein und das Dach undicht. Also ein Haus, unbedingt ein Haus. Das unbedingt war wichtig, denn wie hätte ein Männerpaar in der Hauptstadt der DDR einfach so ein Haus erstehen sollen? Für Geld? Es herrschte Sozialismus, da war das Geldausgeben nicht so einfach. Fürs Unbedingte war Hans zuständig. Klaus, der Doktor, war der Pragmatische.

An einem sonnigen Frühjahrstag des Jahres ’75 durchstreiften die beiden Biesdorf, eine Kleinhaussiedlung gleich neben Marzahn. In Marzahn verrichteten zu jener Zeit tausende Bagger und Kräne ihr Werk. Es entstanden die riesigen Plattenbauten für die Werktätigen, „Arbeiterschließfächer“, das Gegenteil dessen, wonach Hans und Klaus Ausschau hielten. In Biesdorf fragten sie herum, ob jemand jemanden kenne, der sein Haus mit Garten verkaufen würde. Und sie erfuhren von Frau Schulz, einer Dame kurz vorm Rentenalter, die vorhatte, in den Westen zu übersiedeln.

Wie es der Zufall wollte (den es so nur gibt, wo auch ein Wille ist), kannte eine der Nachbarinnen von Frau Schulz das Männerpaar und konnte bürgen: absolut vertrauenswürdig diese beiden, kultiviert und gewiss bereit, mehr zu zahlen als laut Kaufvertrag erlaubt.

So erwarben sie ein Stückchen von Berlin mit einem Haus darauf, welches zwar eher klein und unansehnlich war – aber der Wille war ja da. Dazu Klaus’ amtsärztliche Vollmacht, einen jungen Mann vom Wehrdienst zu befreien, welcher der Neffe einer Jugendfreundin von Hans war und dazu noch Maurer. Der junge Mann hatte nun viele Monate Zeit, für gutes Geld die Mauern des kleinen Hauses zu versetzen. Das war zwar nicht erlaubt, aber der Chef der Bauaufsicht wohnte schräg gegenüber, und er war dem Alkohol nicht abgeneigt. Er ließ sich gerne einladen. Und weil immer eine Mauer des alten Hauses stehen blieb, musste von einem Neubau keine Rede sein.

Die Ziegelsteine waren schließlich auch nicht neu. Sie stammten von Abrisshäusern an der Frankfurter Allee. An vielen Wochenenden hockten Hans, der Modemann, und Klaus, der Doktor, auf ihrer Baustelle und klopften alten Mörtel von den Steinen. Neuen Mörtel besorgte Hans bei der Baustoffversorgung an der Jannowitzbrücke, wo eine alte Schulfreundin von ihm arbeitete. Es war ja nicht allein der Wille, der Hans Berge von Zement und Schalholz versetzen ließ; er verfügte auch über das spezielle DDR-Talent: Beziehungen pflegen, Aufmerksamkeiten verteilen, Tauschgeschäfte organisieren.

Im Oktober 1978 bezogen Hans und Klaus ihr neues Heim, statteten es mit alten Möbeln aus und schufen eine jener Nischen, aus denen der Arbeiter- und Bauern-Staat bestand und die mit seinem offiziellen Bild so wenig zu tun hatten. Hans sorgte dafür, dass es in jedem Winkel der Nische ordentlich und sauber war, er lud Gäste ein und freute sich, wenn sie mit offenen Mündern in der Stube standen und fragten: Wie habt ihr das denn hinbekommen?

Es kamen viele Gäste, Schwule vor allem, die Hans und Klaus bewunderten und auch beneideten für die Selbstverständlichkeit, mit der die beiden miteinander lebten und aus ihrer Männerliebe kein Geheimnis machten. Sie feierten rauschende Feste, sie verkleideten sich. Hans in Netzstrumpfhosen! Seine Lieblingskollegin beneidete ihn um seine Beine.

Auch im Beruf hat Hans es weit gebracht; dem Rat der Mutter folgend, machte er sich nützlich, wo immer er es konnte, seit 1968 im VEB „Jugendmode“, seit 1977 beim „Exquisit“. Bei der „Jugendmode“ kümmerte er sich um Jeans für die sozialistische Jugend, obgleich er selbst nur feine Anzüge trug, am liebsten solche, die der „Exquisit“ verkaufte. Das war eine Handelskette, eingerichtet für den Geldadel des Landes. Die Besserverdienenden, Handwerker, Kellner, Funktionäre etwa, wussten gar nicht, wohin mit ihrer Ost-Mark. Und wenn sie für „Exquisit“-Kleidung ein Vielfaches dessen ausgaben, was die Massenware aus den Bekleidungskombinaten kostete, so erwarteten sie selbstverständlich bessere Produkte, am besten welche aus dem Westen. Hans besaß ein untrügliches Gespür für Stoffe und Verarbeitung, er hatte ein fotografisches Gedächtnis, er war der perfekte Mittler zwischen den Betrieben, die die Sachen herstellten, und „Exquisit“, wo entworfen, eingekauft und verkauft wurde.

Den Niedergang der DDR-Wirtschaft spürte Hans allzu deutlich: Lieferschwierigkeiten, keine Stoffe, kein Geld für West-Importe. Ihm ging das nah, ein Kümmerer, der sich um nichts mehr kümmern konnte. Die 1988er Frühjahrsmesse in Leipzig war die erste seit 25 Jahren, auf der er nicht erschien. Ein Jahr, bevor die DDR aufhörte zu existieren, hörte Hans auf zu arbeiten.

Es blieben ihm noch 21 Jahre, in denen er das Haus ausbaute, seine Sammlung hunderter kleiner Schmuckdosen komplettierte und katalogisierte, den Garten pflegte und die Welt bereiste. Er war zufrieden mit seinem Leben. Er hat es sich gut eingerichtet. David Ensikat

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