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Hartmut Mehdorn.

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Hartmut Mehdorn verlässt den BER: Ein Abschied mit Ansage

Bald würden die Spekulationen über ihn und den BER wieder losgehen. Das konnte sich Hartmut Mehdorn ausrechnen. Jetzt also war der letzte Zeitpunkt, um erhobenen Hauptes aus der Sache auszusteigen. So hat er es gemacht.

Wenn es im Berufsleben des Hartmut Mehdorn eines gab, was ihn noch fuchtiger werden ließ als renitente Aufsichtsräte, war es das Gefühl, eine Situation nicht voll unter Kontrolle zu haben. Das Gefühl, Einflüssen und äußeren Umständen ausgeliefert zu sein, die ihn überrollen konnten, ihn seine Souveränität kosten könnten. Das war im Kleinen so, und das war im Großen nicht anders. Als er am 2. Dezember zusammen mit seinem Kollegen, Jörg Marks, zum Doppelinterview in die Chefredaktion des Tagesspiegels kam, setzte er sich nur mit äußerstem Widerwillen auf den angebotenen bequemen Platz auf der Couch. Das gäbe Fotos, auf denen man immer ungünstig wirke, so hingeflegelt, so ohne Haltung. Haltung war wichtig, Respekt auch, und als er dann selbstverständlich, zusammen mit Marks, auf zwei weit weniger komfortablen harten Stühlen Platz nehmen konnte, ging es ihm besser.

So viel zur Kontrolle im Kleinen. Das Gefühl, die Kontrolle im Großen und Ganzen verlieren zu können, führte dann am Montagmittag zur überraschenden Rücktrittserklärung spätestens im Sommer 2015 vom Amt des Vorsitzenden der Geschäftsführung. Eigentlich gab es – bei Betrachtung von außen – keinen Grund dafür. Die Aufsichtsratssitzung am Freitag war im Ergebnis gut für ihn gelaufen. Er konnte seine Terminplanung für die Eröffnung des Großflughafens nicht nur vorstellen, er bekam auch das Okay der Aufsichtsräte dafür.

"Ich habe Sorge, dass es Ängstlichkeiten gibt"

Dass das so glattgehen würde, war in seiner Umgebung lange bezweifelt worden. Die Politik würde sich vor einer Festlegung drücken, das war die Sorge. Das hatte er auch im Interview dann klar so gesagt. Druck aus der Politik verspüre er nicht – aber dann, trotzig: „Das hätte auch keinen Zweck. Ich habe eher Sorge, dass es Ängstlichkeiten gibt – so nach der Devise ,Bloß nicht noch einmal eine Verschiebung‘. Da fehlt mir wieder der gemeinsame Geist und das gemeinsame Ziel. Man muss sich schon trauen.“

Zeugen schildern das Klima beim abendlichen Beisammensein nach der Aufsichtsratssitzung am vergangenen Freitag als sehr gelöst, was Mehdorn betrifft sogar äußerst zufrieden. Müde sei er gewesen, klar, er ist 72, der Aufsichtsrat war neu zusammengesetzt worden, er konnte nicht wissen, was da auf ihn zukommen würde. Im Hinausgehen schenkte er einem Tagesspiegel-Redakteur einen ein mal zwei Meter großen Plan des neuen Flughafens. Jedem Aufsichtsrat hatte er zuvor auch ein Exemplar übergeben. Dem Journalisten sagte er lächelnd: „Nehmen Sie’s, ich hab’ noch einen.“

Aber dann, übers Wochenende, machte die anfängliche Zufriedenheit nach und nach einem Grübeln über die Ereignisse der vergangenen Wochen Platz. Da war der Mitgesellschafter Bund, der ihm über den Bundesverkehrsminister quasi eine Revisionsabteilung ins Haus schicken wollte. Dagegen hatte er wütend protestiert, die Herausgabe von Akten verweigert. Und außerdem der Ärger wegen der Sache mit den externen Beratern, die Mehdorn engagieren wollte. Das kam bei Michael Müller, dem neuen Regierenden Bürgermeister, nicht gut an. Ein Mann, der das Kalkulieren von Haus aus gelernt hat. Der zwar sagt, natürlich müsse eine Geschäftsführung auf externe Berater zurückgreifen dürfen. Die könnten auch teuer sein, wenn das wohlbegründet wäre. Im konkreten Fall aber schien das Müller eben nicht ausreichend erklärt. Er sagte Nein. Für jemand wie Hartmut Mehdorn, der immer mal in seiner Berufskarriere auch durch die Wand ging, wenn dies als der kürzeste Weg erschien, kam das einer Misstrauenserklärung gleich.

Es gab diese Gerüchte

Wie hatte er am Tag des Interviews diese Situation, geradezu vorausahnend, beschrieben? „Entweder traut der Aufsichtsrat seiner Geschäftsleitung, oder er sucht sich eine neue, tauscht sie aus.“

Und da gab es eben diese Gerüchte: Gesellschafter und Aufsichtsrat schauten sich schon nach potenziellen Nachfolgern um. Es kursierten sogar bereits Namen. Und als im Tagesspiegel vor Wochen Zweifel geäußert wurden, ob sich denn irgendjemand bei klarem Verstand für diesen Job bewerben würde, meldete sich jemand, der es wissen musste. Da gebe es in der Branche genügend Leute Anfang 50, die irgendwo in der Geschäftsführung die Nummer zwei seien und genau wüssten, dass sie in ihrem Haus nie Nummer eins werden könnten, weil diese gleich alt sei. Und solche Leute, die würden sich bewerben, klar, das sei für die die Chance ihres Lebens. Es war offensichtlich: Die Zahl der Freunde Mehdorns war nicht groß.

Das alles wusste der natürlich auch selbst. Und er wusste, dass die Gesellschafter ihm bis Februar 2015 mitteilen müssten, ob sie seinen Vertrag über die erste Hälfte 2016 hinaus noch einmal verlängern würden. Er konnte sich ausrechnen, dass spätestens nach dem Jahreswechsel die Spekulationen um seine Person wieder losgehen würden. Dass dann wieder so ein Punkt erreicht sein würde, wo er keinerlei Kontrolle mehr über die Situation hat. Wo die anderen mit ihm den Max machen. Jetzt also war der letzte Zeitpunkt, um mit erhobenem Haupt aus der Sache aussteigen zu können, ein Rücktritt mit Ansage sozusagen. Und dann hat er’s eben gemacht.

"Begeistert ist bei uns keiner", sagt der Experte für Schallschutz

Es passt zu ihm, genau so. Eine vergleichbare Situation hatte es schon einmal in seinem Berufsleben gegeben. 2003 war das, bei der Deutschen Bahn. Bis heute ist undementiert, dass Mehdorn damals im Mai Bundeskanzler Gerhard Schröder anrief und forderte, seinen Vertrag sofort um fünf Jahre zu verlängern, sonst würde er gehen. Hoch gepokert und gewonnen – Mehdorn wusste, dass Schröder keine Alternative hatte. Mehdorn ist einer der letzten Vertreter einer Managergeneration, die im Geist der Deutschland-AG geformt wurde. Ingenieure vor allem, die seit dem Studium untereinander in Kontakt blieben, sich förderten, aber sich eben auch forderten. Die Zusammenhalt für eminent wichtig hielten, die Deutschland zum Exportweltmeister machten, die fast alle auch einen guten Draht zu den Gewerkschaften hatten und genau wussten, wie man Belegschaften, den Mann am Fließband, ansprechen, ihn oder sie mitnehmen muss.

Wo immer er an der Spitze stand, rappelte es im Karton

Die Luftfahrtindustrie, Heidelberger Druckmaschinen, die Deutsche Bahn, Air Berlin, das waren Berufsstationen von Mehdorn gewesen, und wo immer er an der Spitze stand, rappelte es im Karton. Am berühmtesten und irgendwo auch brutalsten war seine Entscheidung, das Dach des vom Stararchitekten Gerkan, Marg und Partner geplanten Berliner Hauptbahnhofs einfach zu verkürzen. Nicht aus ästhetischen Gründen, nein, Ästhetik war ihm egal, obwohl man sich nicht täuschen darf – Mehdorn ist kunstsinnig, belesen, kultiviert. Nein, hier ging es ganz banal um die rechtzeitige Eröffnung zur Fußball-WM 2006. Und der Hauptbahnhof wurde pünktlich fertig. Dass sein Sanierungskurs, um die Bahn börsenreif zu machen, die Bahn selbst ziemlich fertig machte, dass seitdem der Ruf der Berliner S-Bahn als zuverlässiges Massenverkehrsmittel ruiniert ist, das ist die Schattenseite dieser Ära.

So etwas wie ein Traumjob muss seine Phase als Chef der Air Berlin vom September 2011 bis zum Januar 2013 für ihn gewesen sein, zumindest am Anfang. Sein Freund Joachim Hunold bat ihn damals zu kommen. Außerdem habe er immer gerne selbst eine Luftfahrtgesellschaft führen wollen. Er, der als Chef der Deutschen Airbus GmbH vom Dezember 1989 bis ins Jahr 1995 auf verschiedenen Positionen den Luftfahrtkonzern Dasa zu einer höchst effizienten Flugzeugfabrik machte und dafür sorgte, dass Teile der Fertigung nach Deutschland verlagert wurden. Bei Air Berlin reduzierte er das Streckennetz und die Zahl der Flugzeuge und stockte die Partnerschaft mit der Golf-Airline Etihad auf, die heute der Überlebensgarant der Air Berlin ist.

Viele stehen unter Schock

Als er im März 2013 die Geschäftsführung der Flughafengesellschaft Berlin-Brandenburg übernahm, galt er als der Einzige, der auf diesem Posten Erfolg haben könnte. Im Tagesspiegel zog er vor wenigen Tagen noch eine positive Bilanz. Die Botschaft darin war wohl auch an den Aufsichtsrat gerichtet, der wenige Tage nach Veröffentlichung des Interviews tagen sollte. „Wir haben die Baustelle technisch im Griff. Die zentralen Probleme sind gelöst. 39 von 40 Gebäuden sind baulich fertig und gehen nach und nach in Betrieb. Wir konzentrieren uns jetzt voll auf das Terminal. Auch da wissen wir, was zu tun ist. Der Eröffnungstermin steht und fällt mit dem Brandschutz.“ In Potsdam konstituiert sich am Montagmittag der BER-Sonderausschuss im Landtag. Mehdorn ist nicht da. Er und Marks, so wird verkündet, lassen sich entschuldigen. „Ein Termin mit Baufirmen.“ Da geht ein Raunen durch den Saal. Aber Finanzgeschäftsführerin Heike Fölster ist da. Eine Frau, die für hanseatische Zurückhaltung bekannt ist, diesmal aber mitgenommen wirkt. Die Nachricht vom Rücktritt Mehdorns sei in der Flughafengesellschaft „weitgehend mit Fassungslosigkeit“ aufgenommen worden, sagt sie. Und fügt hinzu: „Ich bedaure das sehr.“ Ja, in der Flughafengesellschaft, deren Mitarbeiter so viel erlebt haben, stehen an diesem Tag viele unter Schock. Und auch der Chef der Abteilung Schallschutz, Lars Wagner, sagt: „Begeistert ist bei uns keiner.“ Vorher hat Dietmar Woidke ein Statement abgegeben. Er zollt ihm Respekt, sagt aber auch: „Insgesamt hat es uns Herr Mehdorn nicht immer leicht gemacht. Wir haben es auch ihm nicht immer leicht gemacht.“

Mitarbeit Thorsten Metzner

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