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Hartz-IV-Mieter: Juristisch falsch, sozialpolitisch gewollt

Aus juristischer Sicht war das Urteil des Bundessozialgerichts vom Dienstag eine schwere Niederlage für den Berliner Senat. Doch trotz des Urteils hält der Senat die großzügige Übernahme von Mieten für Hartz-IV-Empfänger für richtig.

Aus juristischer Sicht war das Urteil des Bundessozialgerichts vom Dienstag eine schwere Niederlage für den Berliner Senat. Dennoch hält es nicht nur Sozialsenatorin Carola Bluhm (Linke) im Nachhinein für richtig, seinerzeit die jetzt für rechtswidrig befundene Berliner Regelung zu Kostenübernahmen bei Hartz-IV-Mieten aus sozialpolitischen Gründen eingeführt zu haben. Bedauern über das Urteil äußerten am Mittwoch auch das Diakonische Werk und der Verband Berlin-Brandenburgischer Wohnungsunternehmen (BBU).

Wie berichtet, verurteilten die Kasseler Richter das Land Berlin am Dienstag, 13,1 Millionen Euro Schadenersatz an den Bund zu zahlen. Berlin hatte in den Jahren 2005 bis 2008 bis zu zwölf Monate lang zu hohe Mietkosten von Hartz-IV-Empfängern gezahlt, obwohl das Bundesgesetz nur eine Übergangsfrist von sechs Monaten vorsieht. Dem Bund sei Schaden entstanden, da er mit gut einem Drittel an der Übernahme der Wohnkosten beteiligt war. Bereits vor einem Jahr passte der Senat jedoch die Berliner Regelungen an das Bundesrecht an.

Diakonie-Chefin Susanne Kahl-Passoth lobte gestern noch einmal ausdrücklich den 2005 vom Senat eingeschlagenen Weg. Etliche Monate lang hatte Bluhms Vorgängerin Heidi Knake-Werner (Linke) kurz nach der Einführung von Hartz IV mit dem damaligen Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) um die vergleichsweise großzügige Verordnung gerungen und sich durchsetzen können. „Berlin handelte fair und verantwortungsbewusst“, sagte Kahl-Passoth. „Ein Wechsel der Wohnung bedeutet für eine Vielzahl der Betroffenen in dieser schon sehr schwierigen Lebenssituation einen weiteren Schritt in die Hoffnungslosigkeit.“ Ein Umzug könne zum Abbruch sozialer Kontakte führen. Außerdem wies sie darauf hin, dass dem Land Berlin „oft erhebliche Kosten, die sich aus dem Umzug ergeben hätten, erspart geblieben“ seien. Auch BBU-Vorstandsmitglied Marion Kern sprach davon, dass die Berliner Praxis „besonders sozial“ gewesen sei. Aber nicht überall gab es Zustimmung für die frühere Berliner Linie. Kritik kam von FDP und CDU. FDP-Fraktionschef Christoph Meyer beispielsweise sah in dem Urteil eine „schallende Ohrfeige für den Senat“. Die Liberalen hatten die Berliner Verordnung schon immer als zu weitreichend abgelehnt.

Zumindest teilweise finden sich die sozialpolitischen Belange durchaus in der Entscheidung der Kasseler Richter wieder. Diese erkannten nämlich an, dass es Ausnahmeregelungen bei bestimmten Personengruppen – etwa Familien mit Kindern, Behinderten oder älteren Menschen – geben kann. Sie senkten deswegen die vom Bund reklamierten 47 Millionen Euro auf 13 Millionen Euro. Auf die vier Jahre gerechnet entspricht dieser Betrag einem Anteil von 0,25 Prozent der Hartz-IV-Wohnungskosten, die im vergangenen Jahr bei 1,39 Milliarden Euro lagen.

Auch wegen dieser Größenordnung sieht sich die Senatsverwaltung laut Sprecherin Anja Wollny eigentlich in ihrer Haltung bestätigt. Bei rund 330 000 Hartz-IV-Haushalten mussten in diesem Jahr bisher lediglich 261 Bedarfsgemeinschaften wegen zu hoher Mietkosten umziehen. Finanziell bedeutend schwerwiegender als der jetzt zu zahlende Schadenersatz jedoch ist, dass der Bund seinen Anteil bei der Übernahme weiter senken will. Seit 2005 wurde er für Berlin von 31 auf derzeit 25,4 Prozent gesenkt. Das von der Bundesregierung geplante Gesetz mit einer Absenkung auf 23 Prozent ist am heutigen Freitag auf der Tagesordnung des Bundesrates. Experten rechnen damit, dass das Gesetz danach in den Vermittlungsausschuss kommt.

Bei grundsätzlichen Gerichtsverfahren auf höchster Ebene begnügen sich die Senatsverwaltungen nicht allein mit den Hausjuristen, sondern ziehen renommierte Fachleute hinzu. Vertreter des Landes vor dem Bundessozialgericht war Johannes Hellermann, der an der Universität in Bielefeld einen Lehrstuhl für Staatsrecht hat. Laut Sprecherin Wollny fiel die Wahl auf Hellermann, weil er ein anerkannter Experte für Verfassungsrecht und für die Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern ist. Bei der Klage der Kirchen vor dem Bundesverfassungsgericht etwa war anderer Sachverstand gefragt. In Karlsruhe wurden die Interessen des Landes Berlin von FU-Professor Philip Kunig, einem Staats- und Verwaltungsrechtsexperten, vertreten.

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