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Heiligabend geht's heim. Na dann: Gute Fahrt!

© Thilo Rückeis

Hatice Akyün ist dann mal weg: Arrivederci, Goodbye und Güle Güle

Der Koffer ist gepackt, die Reisetasche gefüllt: Unsere Kolumnistin Hatice Akyün schließt sich der Karawane der Neuberliner an.

Adiós, Arrivederci, Goodbye, Tschüss und Güle Güle, ich verlasse Berlin. Der Koffer ist gepackt, die Reisetasche gefüllt, noch den Rucksack, die größte Handtasche und drei Plastiktüten. Ich schließe mich der Karawane derer an, die über Weihnachten die Stadt verlassen. Eine Woche werde ich in meine Duisburger Parallelwelt abtauchen.

Berlins Neubürger fahren an den Feiertagen dorthin zurück, von wo sie einst aufgebrochen sind. Die Stadt gehört einmal im Jahr den Ureinwohnern. Entvölkerte Stadtteile, leere Abgeordnetenwohnungen, das Regierungsviertel verwaist, verlassene Townhouses in Mitte und dunkle Studentenbuden in der ganzen Stadt. Der Umsatz von Latte Macchiato und Bionade nähert sich dem Nullpunkt. Die Hippen und Schicken sind ausgeflogen – Berlin macht Weihnachtspause von den Zugezogenen. Jetzt ist auch der beste Zeitpunkt, Prenzlauer Berg einen Besuch abzustatten, um zu entdecken, wie unser Familienstadtteil ohne Schwaben, indische Babytragetücher und Laufräder aussieht. Einfach den freien Blick auf den Französischen Dom genießen. Oder ohne angerempelt zu werden über Unter den Linden schlendern, und am Brandenburger Tor ist auch niemand, der einen mit Rucksack und Kamera über den Haufen rennt. Hach, wie erholsam. Und ausgerechnet jetzt bin ich nicht da.

Man kann sich nicht alles schöntrinken

Dafür habe ich das Vorprogramm zur Stadtflucht in diesem Jahr mehrfach genossen. Wussten Sie, dass auf Betriebsweihnachtsfeiern 52 Prozent der Anwesenden gerne ein erotisches Tête-à-Tête hätten? Ich bin diesmal leer ausgegangen, was mich aber weniger als Restposten brandmarkt, sondern dem Umstand geschuldet ist, dass man sich nicht alles schöntrinken kann. Aber schön getrunken wurde schon. Dieses zwischenmenschliche Geknister beckenbauerscher Dimensionen blieb auch mir nicht verborgen, und so warf ich einen Blick in die Geburtenstatistik. Signifikant hoch ist die Geburtenrate im Zeitraum von September bis Oktober.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.
Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. Im Tagesspiegel schreibt sie einmal pro Woche über ihre Heimat.

© Promo

Dann kam mir eine zündende Idee: Sollte man das Geld für die Kleinkindbetreuung nicht in die steuerliche Subventionierung von Weihnachtsfeiern stecken und so die Initialzündung eines Babybooms auslösen? Ich wollte es noch genauer wissen und stöberte im Internet nach weiteren Zahlen. Mir fiel auf, dass sich in den zwei Jahren der Finanzkrise die Geburtenzahl in Berlin halbiert hat. Kann es also sein, dass die aus Einspargründen ausgefallenen Weihnachtsfeiern etwas damit zu tun haben? Nun, nachdem die Konjunktur anzog und am Jahresende wieder gefeiert wurde, verdoppelte sich die Geburtenzahl. Gewagte These, denken Sie jetzt, oder? Dann gehören Sie vielleicht zu den 48 Prozent, deren Erwartungshorizont auf Weihnachtsfeiern sich mehr auf das Wichteln und die Ansprachen ausrichtet.

Aber keine Sorge, spätestens zu Silvester wird Berlin wieder einer freundlichen Fremdbestimmung unterworfen, zumindest was das Straßenbild angeht. Dann wird die Stadt zur Kulisse des Hoffnungsversprechens eines besseren Jahres. Und zu den Neujahrsempfängen sind wir dann alle wieder vereint, die Alt- und Neuberliner. Oder wie mein Vater sagen würde: „Kar ne kadar cok yagsa yaza kalmaz.“ Wie viel es auch schneit, der Schnee bleibt nicht bis zum Sommer liegen.

Hatice Akyün ist in Anatolien geboren, in Duisburg aufgewachsen und in Berlin zu Hause. An dieser Stelle schreibt sie immer über ihre Heimat.

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