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Berlin: Hauptschüler haben wieder eine Chance weniger

Senat schließt das Jugendaufbauwerk. Dessen Berufshilfe war besonders für benachteiligte Jugendliche wichtig, um Jobs zu finden

Nach der Diskussion um die Zustände an der Neuköllner Rütli-Schule fordern Politiker aller Couleur bessere Chancen für benachteiligte Jugendliche – doch gerade jetzt schließt der Senat eines der traditionellen Berufsbildungsinstitute, das Jugendaufbauwerk (JAW). Das Vorhaben sei finanz- und sozialpolitisch unsinnig, kritisiert die Gewerkschaft Verdi: Viele Jugendliche nichtdeutscher Herkunft müssten ihre Ausbildung abbrechen, zudem gebe es Zahlungsverpflichtungen an die Ausbilder sowie für die Miete.

Für rund 250 Jugendliche, die in diesem Jahr eine Ausbildung beim Jugendaufbauwerk beginnen sollten, gibt es bisher keine Alternative. Und durch die Zerschlagung der Gottlob-Münsinger-Berufsschule im Neustadt-Kiez befürchten Spandauer Politiker einen weiteren Einbruch bei der Integration von Migranten-Kindern mit Lernproblemen. Schulsenator Klaus Böger (SPD) setze „vor dem Hintergrund der Diskussion über die Perspektivlosigkeit von Jugendlichen ganz fatale Zeichen“, kritisierte der Vorsitzende des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses, Peter Trapp (CDU).

90 Jugendliche, die sonst keine Chance auf eine Lehrstelle haben, wären in diesem Jahr wieder ans JAW vermittelt worden. 160 junge Menschen hätten im Rahmen einer einjährigen Berufsvorbereitung ihren Hauptschulabschluss nachholen können. Ersatzplätze gibt es noch nicht, obwohl Bögers Sprecher Kenneth Frisse auf das Überangebot freier Träger bei der außerbetrieblichen Ausbildung verweist. „Ich kann noch keine Alternativen nennen“, sagt Ellen Queisser, Sprecherin der Arbeitsagentur Berlin-Nord.

Das Jugendaufbauwerk in Pankow und Spandau bietet 318 Ausbildungsplätze in zahlreichen Berufen. Jetzt wird es vom Senat wegen hoher Defizite abgewickelt, einzelne Betriebsteile wurden ausgeschrieben. Rote Zahlen schreibt die Einrichtung, seit ihr 1995 auch die bezirklichen Kinderheime zugeschlagen wurden, die immer weniger genutzt werden. Weil so bis zum vergangenen Jahr geschätzte Verluste von rund 56 Millionen Euro entstanden, soll die Anstalt öffentlichen Rechts abgewickelt werden. Die Kosten für das Land Berlin werden vermutlich mehr als 100 Millionen Euro betragen. Die Folge für die Jugendlichen: Nur wer in diesem Jahr die Lehre beendet und durch die Abschlussprüfung fällt, darf noch ein halbes Jahr bis zum zweiten Versuch bleiben. Die Jugendlichen, die noch mitten in der Ausbildung stehen, sollen an Privatfirmen oder andere Träger vermittelt werden.

„Es ist sichergestellt, dass jeder Jugendliche bis zum Jahresende eine mindestens gleichwertige Fortsetzungs- oder Abschlussmaßnahme finden kann“, hatte Jugendstaatssekretär Thomas Härtel bereits vor Monatsfrist erklärt. Mehr als ein erstes Sondierungsgespräch zwischen Arbeitsagentur und Jugendaufbauwerk hat es laut Ellen Queisser bisher aber nicht gegeben. Dass Firmen die Azubis übernehmen, gilt beim JAW als so gut wie aussichtslos. Elf angehenden Fachkräfte für Veranstaltungstechnik und sieben Modenäherinnen haben gar keine Alternativen in Berlin. „Die endgültige Schließung der Jugendberufshilfe des Jugendaufbauwerks ist ein großer Verlust besonders für alle sozial benachteiligten Jugendlichen, die auf dem freien Arbeitsmarkt keine Chance auf einen Ausbildungsplatz haben“, sagt Melanie, Hauswirtschafts-Azubi im zweiten Lehrjahr.

Auch gegen die Verlegung und Aufteilung der Gottlob-Münsinger-Schule regt sich Protest. Auf der Insel Eiswerder holen 310 Jugendliche bei Bildungsgängen im Bereich Holztechnik den Hauptschulabschluss nach und betreiben die Schülerfirma Woodpeckers. Wegen der hohen Mietkosten will der Senat die bundeseigene Immobilie abgeben. In einer gemeinsamen Erklärung haben sich Politiker von CDU, SPD, Grünen und PDS für den Erhalt des Standortes ausgesprochen.

Rainer W. During

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