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Berlin: Hauptstadt der Schummler

Im Mogeln belegen die Berliner einen bundesweiten Spitzenplatz: Nirgendwo in der Republik wird so häufig schwarzgearbeitet und unangemeldet in die Röhre geschaut. Nirgends gibt es einen so hohen Krankenstand und so wenig legal angemeldete Haushaltshilfen.

Wir sind spitze – vor allem im Schummeln. Mogeln mit Erfolg, das verspricht doppelten Gewinn: Zum unverdienten Vorteil, der echtes Geld wert ist, kommt noch das unbezahlbare Vergnügen, als Schlitzohr profitiert zu haben – und keiner hat’s gemerkt.

Ehrlich lohnt sich nicht, scheint die Devise in Berlin, und mancher zeigt dafür sogar Verständnis. „Der Hang zur Mogelei ist keine Berliner Eigenart“, stellt Martin Lindner, FDPFraktionschef im Abgeordnetenhaus, klar. „Doch in dieser Stadt sind viele von staatlicher Hilfe abhängig, es gibt hier keine gesunde wirtschaftliche Struktur. Deshalb werden viele Regeln innerlich nicht mehr akzeptiert.“ Für viele stelle sich nicht mehr die Frage, ob legal oder illegal: „Häufig stehen die Menschen vor der Alternative: illegal oder gar nicht“, erklärt Lindner. Nicht jeder könne sich für Arbeiten im Haushalt einen Handwerker für 40 Euro Stundenlohn leisten. Und auch wer Arbeit ehrlich vergeben will, hat es nicht immer leicht, wie der FDP-Politiker aus eigener Erfahrung weiß. „Finden Sie mal eine Putzfrau, die auf Lohnsteuerkarte arbeiten will.“

Schwarzarbeiter

Berlin ist die Hauptstadt der Schattenwirtschaft. Nirgendwo im Land wird so viel schwarzgearbeitet wie hier. Knapp 22 Prozent des Bruttoinlandsproduktes wird hier durch illegale Beschäftigung erwirtschaftet, bundesweit liegt der Anteil bei 16,5 Prozent. Am drastischsten ist die Situation nach Ansicht von Experten auf dem Bau. Die 330 Ermittler des Landesarbeitsamtes können bei ihren Razzien nur die Spitze des Eisberges aufdecken. Im Jahr 2001 erstatteten sie 7000 Strafanzeigen und verhängten Bußgelder in Höhe von knapp 14 Millionen Euro.

Zu einem wesentlichen Teil spielt sich Schwarzarbeit in privaten Haushalten ab. Die Putzfrau wird nur in wenigen Fällen angemeldet: Bei der landeseigenen Unfallkasse, bei der alle Haushaltshilfen zwingend versichert werden müssen, sind nur rund 2400 Putzfrauen registriert sik

Blaumacher

Berlins Krankenstand ist bundesweit spitze. Während im vergangenen Jahr im Durchschnitt vier Prozent der Arbeitnehmer in Deutschland krank waren, lag dieser Wert bei der größten Berliner Krankenkasse, der AOK Berlin, bei 5,7 Prozent. Bei der Betriebskrankenkasse Berlin, bei der vor allem Beschäftigte des öffentlichen Dienstes versichert sind, sogar bei 7,5 Prozent.

Die Kassen haben eine Kontrollinstanz, den Medizinischen Dienst, der auffällig Kranke auch mal zur Nachuntersuchung vorlädt. Ergebnis: Viele melden sich von allein sofort wieder gesund, andere werden vom Dienst sofort gesund geschrieben. Letztlich bleiben nur rund ein Viertel der Vorgeladenen arbeitsunfähig.

Nun sind das nicht alles Blaumacher. Ärzte wie Kassen wissen, dass Großstadtluft krank machen kann: Stress, Lärm, Abgase usw. Auch die hohe Arbeitslosigkeit setzt den Leuten psychisch zu. Auf der anderen Seite vermuten die Kassen aber auch, dass die Doktoren in Berlin bereitwilliger krank schreiben, als in anderen Bundesländern. I.B.

Sozialhilfe-Betrüger

So, wie Giuseppe (Name geändert) machen’s viele: doppelt abkassieren. Rund 2000 Euro hat er als Kellner in der Pizzeria schwarz verdient und zusätzlich noch Sozialhilfe eingesteckt. Vorm Gang ins Amt holt der Mann stets besonders schäbige Kleidung aus dem Schrank. „Genaue Zahlen, wer Sozialhilfe bezieht und nebenbei schwarzarbeitet, haben wir nicht“, sagt die Sprecherin der Senatsverwaltung für Soziales, Roswitha Steinbrenner. Bei einer Kontrolle von 120 000 Sozialhilfeempfängern sind 1999 2033 Betrugsfälle gezählt worden. Das entspricht einer Schadenssumme von rund 1,7 Millionen Euro. Die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen. Dem Sozialhilfe-Missbrauch auf die Schliche kommen wollen die Ämter – Vorreiter ist Reinickendorf – mit dem „Prüf- und Ermittlungsdienst“. Die Mitarbeiter machen Hausbesuche und kontrollieren, ob bestimmte Leistungen berechtigt sind. 615 000 Euro Sozialhilfeausgaben habe er 2002 dadurch einsparen können, sagt der Sozialstadtrat von Steglitz-Zehlendorf, Stefan Wöbke. Der Reinickendorfer Sozialstadtrat Frank Balzer will durch die Kontrollen gar 800 000 Euro gespart haben.tabu

Versicherungs-Trickser

Sie sind nirgendwo registriert und fliegen nur durch Zufall auf: Berliner, die ihr Auto am Zweitwohnsitz bei Vater, Schwester, oder Schwager außerhalb der Stadt angemeldet haben und dadurch mehrere hundert Euro Versicherungsprämie pro Jahr sparen. Weil in Berlin mehr Unfälle passieren als auf dem platten Land, verlangen die hiesigen Versicherungen nämlich höhere Beiträge. Weder Kfz-Meldestellen noch Polizei können die Zahl der Trickser abschätzen. weso

Schwarzseher

Die Hauptstadt belegt einen der Top-Plätze unter den „Schwarzsehern“. 16,15 Euro Gebühr für ein Fernseh- und 5,32 Euro für ein Radiogerät sparen sie sich damit. Nur Frankfurt am Main hat noch eine geringere Gebühren-Teilnehmerzahl, sagt Hermann-Josef Flosbach von der Gebühreneinzugszentrale (GEZ). 45 Millionen Euro sollen dem Sender Freies Berlin (SFB) als zuständiger Rundfunkanstalt damit entgangen sein. Warum so viele Berliner schwarzsehen? „Die Stadt hat einen sehr hohen Anteil an Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen, Migranten, zudem ist die Insolvenzrate extrem hoch“, sagt Karin Gagelmann vom SFB.tabu

Fahrschein-Händler

Die BVG erhöht demnächst wieder die Preise, die Berliner wehren sich schon jetzt auf ihre Weise. Immer häufiger machen illegale Ticket-Händler damit ein eigenes Geschäft, stellen sich in der Nähe von Fahrschein-Automaten auf und verkaufen bereits abgestempelte Einzelfahrscheine zu Dumping-Preisen. Dabei ist das verboten. Und doch: „Ein Weiterverkauf des nur kurzzeitig genutzten Tickets an andere Fahrgäste ist inzwischen üblich geworden“, sagt PDS-Verkehrsexpertin Jutta Matuschek. wie

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