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Land in Sicht. Die Hauptstadt expandiert in alle Richtungen.

© Thorsten Gast

Hauptstadtregion Berlin-Brandenburg: Berlin wächst in alle Richtungen

Die Hauptstadtregion ist eine enorme Planungsaufgabe für Berlin und Brandenburg. Wie sich das Umland auf neue Bewohner einstellt, zeigen wir in einer neuen Serie.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Hauptstadtregion boomt. Berlin wächst über sich hinaus – und mit dem Umland zusammen. In den kommenden Wochen stellen wir in unserer Serie acht Orte und Regionen vor, die von der wachsenden Metropole profitieren: durch neue Einwohner, Firmenansiedlungen, zusätzliche Arbeitsplätze und Steuereinnahmen. Welche Chancen eröffnen sich, und welche Herausforderungen stellen sich? Wer bietet mehr: neue Wohnungen, Kitas und Schulen, Lebensqualität, kurze Wege nach Berlin. Unsere Reise führt einmal rund um die Hauptstadt, in acht Folgen, im Tagesspiegel. Zum Auftakt ein Essay von Ulrich Zawatka-Gerlach.

Ein historischer Glücksfall - und viele Herausforderungen

Wer verstehen will, was die Hauptstadtregion ist, sollte sich Zeit nehmen und einmal quer durch Berlin und Brandenburg reisen. Stadt, Land, Flüsse, Wälder und Seen – so lässt sich der erste Eindruck zusammenfassen. Schaut man genauer hin, ist das Zusammenspiel von Hauptstadt und märkischem Nachbarn zwischen Spremberg und Perleberg, Brandenburg an der Havel und Eisenhüttenstadt etwas komplizierter. Und weil diese Beziehung nicht einfach ist, darf man es ohne Übertreibung als einen historischen Glücksfall bezeichnen, dass beide Länder, trotz vieler unterschiedlicher Interessen, seit über 20 Jahren gemeinsame Ideen für die Zukunft der Region entwickeln.

Auch hier empfiehlt sich eine Reise. Nicht weit weg von Berlin, in die Henning-von-Tresckow-Straße, südlich der Potsdamer Altstadt. Dort sitzt die Gemeinsame Landesplanungsabteilung Berlin-Brandenburg, mit zwei Filialen in Cottbus und Frankfurt (Oder). Nach dem Mauerfall und der Gründung ostdeutscher Länder, darunter Brandenburg, bedurfte es zäher Verhandlungen, die mehrfach vor dem Scheitern standen, bevor die Behörde am 1. Januar 1996 die Arbeit aufnahm. Eigentlich sollte der Staatsvertrag für eine länderübergreifende Planungspolitik nur der Probelauf für eine Fusion von Berlin und Brandenburg sein, die 1999 vollzogen werden sollte.

Dazu kam es nicht, weil die Volksabstimmung zur Länderehe scheiterte. Seitdem bemühen sich der Berliner Senat und die Landesregierung in Potsdam mal mehr, mal weniger erfolgreich um eine Zusammenarbeit auf allen Ebenen. Ohne eine gemeinsame Landesplanung wäre das nicht möglich – sie ist in dieser Form bundesweit einmalig. Die Alternative dazu wäre ein ungesteuertes Wachstum der Hauptstadt Berlin und des umliegenden Speckgürtels, während die kleinen Städte und das platte märkische Land nur im Ausnahmefall echte Entwicklungschancen bekämen.

Besser ist es, zu regeln, was regelbar ist. Dazu gehört vieles, was der Mensch so braucht: Wohnen und Arbeit, Mobilität und Energie, Einkaufsmöglichkeiten und eine intakte Natur. Der Staat kann dafür einen Ordnungsrahmen schaffen, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Geplant wird für eine Region, in der sechs Millionen Menschen auf 30 000 Quadratkilometern Platz finden, wenn auch sehr unterschiedlich verteilt. Der geometrische Mittelpunkt liegt übrigens im Berliner Bezirk Reinickendorf. Der erste Landesentwicklungsplan trat 2009 in Kraft, jetzt wird er erneuert, das komplizierte Beteiligungsverfahren am Entwurf ist noch nicht abgeschlossen.

Viele Städte und Gemeinden an den Rändern laufen leer

Außerdem gibt es Regionalpläne, Sanierungspläne für die Braunkohlegebiete und einen Entwicklungsplan für den Flughafenstandort Schönefeld. Im Großen und Ganzen geht es um drei Strukturräume, wie es die Fachleute nennen: Berlin, das Berliner Umland und der weitere Metropolenraum. Mit 3,5 Millionen Einwohnern ist die Bundeshauptstadt das politische und wirtschaftliche Zentrum der gesamten Region. In Deutschland ist nur München dichter besiedelt. Aber auch der Speckgürtel, der sich um Berlin legt, wächst kräftig. Bis 2030 ist nicht nur in der Landeshauptstadt Potsdam mit einem zweistelligen Bevölkerungswachstum zu rechnen, sondern auch in Schönefeld, Teltow, Dallgow-Döberitz, Stahnsdorf, Großbeeren, Wildau, Wustermark und Velten. Das südlich und westlich von Berlin gelegene Umland profitierte bisher besonders von der unmittelbaren Nachbarschaft zur Hauptstadt.

Dagegen laufen viele Städte und Gemeinden, die an den Rändern Brandenburgs liegen, demografisch leer. Besonders betroffen von der Landflucht, die sich im nächsten Jahrzehnt eher verstärken wird, sind Guben und Lauchhammer, Lychen und Rheinsberg, Seelow und Treuenbrietzen. Es klingt euphemistisch, dort noch von einem Metropolenraum zu sprechen. Stattdessen konzentriert sich die Bevölkerung auf Berlin und Umgebung, wobei die Besiedlung sich eng an den Schienentrassen orientiert. So wächst die Hauptstadt allmählich wie ein Stern ins Nachbarland hinein.

Es wird enger. Rund um Berlin entstehen Neubausiedlungen, wie hier in Potsdam-Nord.
Es wird enger. Rund um Berlin entstehen Neubausiedlungen, wie hier in Potsdam-Nord.

© aa[/FOTO_HINW]

Das verhindert zwar nicht den Autoverkehr und eine Zersiedelung des Umlands, aber diese negativen Effekte der demografischen Explosion sollen wenigstens eingedämmt werden. Das ist schwierig, denn Berlin ist das größte Arbeitsmarktzentrum der Hauptstadtregion, mit weitem Abstand folgen Potsdam, Cottbus und Frankfurt (Oder). Inzwischen pendeln täglich etwa 200 000 Brandenburger nach Berlin, während nur 80 000 Berliner in die märkische Umgebung pendeln. Der Trend ist steigend, neuen Prognosen zufolge werden die Bahn- und Straßenverbindungen schon in naher Zukunft überlastet sein. Dazu kommt, dass in der Hauptstadtregion auch die transeuropäischen Verkehrskorridore aufeinandertreffen.

Auch haben die Mieten und Immobilienpreise im Umland längst großstädtisches Niveau erreicht, während in den Randlagen zehntausende Wohnungen zurückgebaut werden. Eine weitere Herausforderung für die gemeinsame Landesplanung ist die alternde Bevölkerung, die in und um Berlin immer multinationaler wird. Das erhöht den Druck auf die öffentliche Daseinsvorsorge. Eine andere Baustelle ist die Bildungs- und Hochschulpolitikpolitik, denn die Hauptstadt und ihr Umland stehen als aufstrebendes Dienstleistungs- und Wissenschaftszentrum in harter Konkurrenz zu anderen internationalen Metropolenregionen.

Ein großes Plus, das die Region attraktiv macht, ist die einzigartige märkische Landschaft. Wald, Gewässer und Landwirtschaft nehmen 86,5 Prozent der Fläche in der Hauptstadtregion ein. Ein Drittel Brandenburgs besteht aus Wäldern, es gibt 3000 Seen und große Regionalparks. Und nicht nur Berlin, sondern auch die alten brandenburgischen Landstädte mit meistens gut sanierten historischen Kernen ziehen kunst- und kulturinteressierte Gäste an. Dies alles will bewahrt sein und gefördert werden. Das kostet viel Geld, das vor allem die Kommunen nicht haben.

Um ein Fazit zu ziehen: Die Chancen sind da, aber noch viele Probleme ungelöst. Berlin und Brandenburg werden in Zukunft wohl noch mehr zusammenrücken müssen. Denn eine gute Planung allein bringt nichts voran. Leider sind sich die Berliner und die Brandenburger oft immer noch sehr fremd, man kommt auf Besuch, aber das ist es schon. Das gilt übrigens auch für die Regierungen, Parteien und öffentlichen Institutionen der beiden Nachbarländer.

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