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Berlin: Haus der Geschichten

Hier schliefen Martin Luther King und der Dalai Lama – nun hat das Land seine Gäste-Villa im Grunewald verkauft

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

BERLIN GIBT SEIN GÄSTEHAUS AUF

Jetzt wird ausgeräumt. Die Bilder von Schmitt-Rottloff hängen schon nicht mehr an der Wand; das Brückemuseum hat seine wertvollen Leihgaben wieder. Vielleicht hat Neill Armstrong, der erste Mann auf dem Mond, einen Blick auf das „Stilleben mit Chrysantheme“ geworfen, als er am 13. Oktober 1969 im Gästehaus des Senats mit allen Ehren empfangen wurde. Die Villa im piekfeinen Grunewald, die sich hinter einem schmiedeeisernen Zaun und hohen Koniferen versteckt, schrieb 40 Jahre lang West-Berliner Geschichte. Jetzt ist auch dieses Kapitel abgeschlossen. Das Haus ist verkauft und wird im August an Südkorea übergeben – als neue Residenz des Botschafters in Deutschland.

Das Kurland-Service der Königlichen Porzellan-Manufaktur für 120 Personen ist zusammen mit dem silbernen WMF-Besteck schon ins Rote Rathaus geschafft worden. Von den handbemalten Tellern haben zuletzt Frances McDormand und die anderen Mitglieder der Berlinale-Jury gegessen. Die Entscheidung über die Vergabe der Goldenen Bären: Das war der letzte offizielle Termin im Senatsgästehaus. Vor knapp zwei Wochen, so munkelt man, schaute der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit noch einmal in der Menzelstraße 12 vorbei. Inkognito, mit einem unbekannten Gast. Das ist nicht ungewöhnlich. Alle Regierenden seit Willy Brandt haben das Haus gern für vertrauliche Gespräche und Arbeitsessen genutzt. Auch wenn diese Treffen alle nicht so streng geheim waren wie 1971, als sich der Regierende Bürgermeister Klaus Schütz mit dem sowjetischen Botschafter in der DDR, Pjotr Abrassimov, über die schwierige Lage der geteilten Stadt austauschte. Ein Anruf genügte; dann wurde schnell Kaffee gekocht oder der Wein entkorkt und für das Catering gesorgt. Die kleine Profi-Küche im Souterrain ließ kaum Wünsche offen. Auch größere Essen und Empfänge waren kein Problem; und im ersten Stock gab es eine kleine Suite und ein kleines Schlafzimmer für Gäste, die übernachten wollten.

Für den ehemaligen US-Justizsenator Robert Kennedy wurde sogar eine Wand durchbrochen, um Platz für die Sicherheitskräfte zu schaffen. Der Moskauer Oberbürgermeister Jury Luschkov hat im Gästehaus genächtigt; doch seit geraumer Zeit ziehen die Gäste des Berliner Senats lieber ins Hotel. Den Übernachtungs-Rekord hält übrigens der frühere Innensenator Eckart Werthebach. Er hat im Gästehaus ein Dreivierteljahr gewohnt. Im November 2003 ist der 86-jährige Fotograf Henry Ries die enge Treppe in den ersten Stock der Villa hinaufgestiegen, um dort eine ruhige Nacht zu verbringen. Er war aber der letzte, der das Schlafzimmer nutzte. Die Lichter der Großstadt sind weit entfernt und der Komfort hält nicht allen Ansprüchen stand. Auch wenn der Gast frühmorgens durch einen Blick von der großzügigen Veranda auf den prächtigen Garten belohnt wird. Das parkähnliche Grün, fast 6000 Quadratmeter, hat maßgeblich zur Kaufentscheidung der Südkoreaner beigetragen. Ob sie den Swimmingpool wiederbeleben, der seit Jahren abgedeckt ist? Als Richard von Weizsäcker Anfang der achtziger Jahre Berlin regierte, hat er dort fleißig für das Goldene Sportabzeichen geübt.

Vom Gästehaus selbst, das der Kaufmann Israel Kranz seit 1927 bewohnte, das aber 1933 unter den Nazis zwangsversteigert wurde, soll nur die Fassade stehen bleiben. Der zweite Eigentümer, der Zuckerfabrikant Walter Pikuritz, ließ die Räume 1950 nach seinem Junggesellen-Geschmack ziemlich eigenwillig zuschneiden. Unter Denkmalschutz steht dort nichts; sieht man von drei klassizistischen Kommoden in der großen Empfangshalle im Erdgeschoss ab, die Senatskanzleichef André Schmitz längst für das Rote Rathaus gesichert hat. Vielleicht wird auch das „Loriot-Sofa“ im kleinen Salon vor dem Sperrmüll bewahrt. Ansonsten haben es sich die Gäste des Senats in den vergangenen Jahrzehnten in einem kunterbunt zusammengewürfelten Mobiliar bequem gemacht. Ein bisschen Biedermeier und Gründerzeit, Restbestände der Nierentisch-Ära, gepaart mit neuer Sachlichkeit in Leder aus den siebziger Jahren. Und der Kamin á la Kurfürst! Mit echten Holzscheiten.

Im Musikzimmer stand lange Zeit ein Flügel, an dem Daniel Barenboim einmal Brahms gespielt hat. Für viele Personen der Zeitgeschichte wurden im geräumigen, lichten Esszimmer Toasts ausgesprochen: für den Dalai Lama und für den US-Bürgerrechtler Martin Luther King. Für den ehemaligen Oberbefehlshaber in Deutschland, General Lucius D. Clay und für den Jerusalemer Oberbürgermeister Teddy Kollek. Henry Kissinger und Yitzak Rabin wurden hier empfangen; auch der IOC-Präsident Juan Antonio Samaranch. Etliche Außenminister und Stadtoberhäupter waren in der Grunewald-Villa zu Gast und bis 1990 trafen sich dort der jeweilige Regierende Bürgermeister alle vier Monate mit den Stadtkommandanten der USA, Frankreichs und Großbritanniens. Der Schauspieler Martin Held hat dort seinen 80. Geburtstag gefeiert. Auch Harald Juhnke wurde – von Eberhard Diepgen – 1999 zum Geburtstagsessen eingeladen. Und jedes Jahr in der Vorweihnachtszeit kamen die Stadtältesten zu Besuch.

Über all den Empfängen, Essen und anderen protokollarischen Anlässen hat der Berliner Senat seit dem Kauf der Villa 1964 nie vergessen, in bester Stadtrandlage handfeste Tagespolitik zu machen. Legendär sind die Sparklausuren der großen Koalition in den neunziger Jahren. Antje Winkler, die das Gästehaus in den letzten drei Jahren bewirtschaftet hat, erinnert sich noch mit Grausen an eine dreitägige Schlacht um den Berliner Haushalt am kalten Buffet, für das sie zu sorgen hatte. „Um 5 Uhr früh fuhren die Senatsmitglieder nach Hause, um 9 Uhr waren sie wieder da.“

Nun ist sie traurig. Das Gästehaus war eine wunderbare Arbeitsstelle. Unvergesslich der Bruch des CDU/SPD-Regierungsbündnisses in der Nacht zum 7. Juni 2000. Zwei Stunden verbrachte Frau Winkler damit, am kleinen Kopiergerät lange Sparlisten zu vervielfältigen, dann kam der damalige Senatssprecher Michael-Andreas Butz zu ihr: „Das können Sie jetzt alles wegwerfen.“ Die Koalition war geplatzt.

Ein Haus voller Erinnerungen. Bald kommen die Handwerker, um es auszuweiden.

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