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Berlin: Hausbesuch vom Demonstranten

Ein Bündnis ruft zu Protest vor Politiker-Häusern auf. Die fürchten um ihre Privatsphäre

Es sieht aus wie ein Fahndungsplakat. Da ist das Gesicht von PDS-Chef Stefan Liebich, herunterzuladen aus dem Internet, und daneben steht: „Ich soll eigentlich deine Interessen vertreten und stimme ab über:“ – und dann folgt eine Aufzählung von Kürzungen, die das Abgeordnetenhaus an diesem Donnerstag voraussichtlich mit dem Haushalt beschließen wird. Auf dem Plakat wird dazu aufgerufen, sich am Donnerstag früh um 8 Uhr in der Nähe von Liebichs Wohnhaus in Prenzlauer Berg zu einer Kundgebung einzufinden.

Schon am heutigen Mittwoch um 17 Uhr soll es einen Demonstrationszug von der Schönhauser Allee zum Roten Rathaus geben. Am Donnerstagmorgen dann sollen sich Protestierer bei Liebich in Prenzlauer Berg einfinden, wahlweise auch beim PDS-Haushaltspolitiker Carl Wechselberg in Neukölln oder bei Parlamentspräsident Walter Momper (SPD) in Kreuzberg. Aufgerufen hat dazu ein gewerkschaftsnahes „Berliner Bündnis gegen Sozial- und Bildungsraub“, das erreichen will, dass die geplanten Kürzungen bei Kitas, sozialen Projekten sowie der Stellenabbau im öffentlichen Dienst zurückgenommen werden.

„Wir finden das unmöglich“, sagt SPD-Fraktionssprecher Peter Stadtmüller. „Protest ist legitim, aber er sollte dort stattfinden, wo die Leute dienstlich tätig sind, also vor dem Abgeordnetenhaus oder dem Roten Rathaus.“ Privatwohnungen müssten tabu bleiben, denn dort treffe es auch die Familien. „Das fanden wir auch schon damals unmöglich, als die Initiative Berliner Bankenskandal ihre Spaziergänge gemacht hat.“ Der Urheber der Spaziergangs-Idee, der FU-Professor Peter Grottian, mischt jedenfalls auch hier wieder mit. Auf der Abschlusskundgebung der Demo um 18.30 Uhr heute vor dem Roten Rathaus will er sprechen. Stadtmüller bezweifelt indes, dass die Leute vom Bündnis den politischen Dialog suchen: „Die haben sich bei uns noch nicht gemeldet.“

Diesen Verdacht, dass es hier nicht so sehr um Inhalte geht wie um die Schaffung von Öffentlichkeit, teilt auch Carl Wechselberg. „Ich kenne die Leute gut, zum Teil aus der Partei, zum Teil saß ich mit denen im ersten Sozialforum zusammen“, sagt er. Auch damals sei man schon geteilter Meinung gewesen. „Die haben alle meine Telefonnummer und könnten mich anrufen, wenn es Zweck der Aktion wäre, sich über Inhalte zu unterhalten.“ Zu den unangenehmen politischen Entscheidungen, die getroffen wurden, stehe er. Protest als solcher sei legitim: „Das ist ja ein Grundrecht.“ Wechselberg mutmaßt, dass er vielleicht von seinen früheren Gefährten als Verräter angesehen werde – „als Verräter von Positionen, die ich nie hatte“.

Sein Partei- und Fraktionschef Liebich sieht das ähnlich. „Ich finde das nicht schön, aber muss wohl damit leben“, sagte er. „Ich werde nicht die Polizei rufen.“ Für sinnvoller hielte er es aber, wenn die Protestierer zu den Parteitagen der PDS kämen – die Partei sei dafür bekannt, dass sie dort jeden reden lasse. „Und die Auswahl ist auch eigentümlich – warum fahren die nicht auch zu Frau Spranger?“ Die SPD-Haushälterin wohnt allerdings in Hellersdorf.

„Das hätten wir auch machen können“, sagt Bündnis-Sprecher Michael Hammerbacher. „Die drei ausgewählten Politiker stehen exemplarisch für alle anderen.“ Hammerbacher betont auch: „Wir rücken denen nicht auf die Pelle. Deswegen demonstrieren wir ja nicht direkt vor den Häusern der Abgeordneten, sondern nur in ihrer Nähe.“ Der angestrebte Effekt sei dennoch, die Politiker aus ihrer privaten Anonymität zu reißen. „Ich stelle mir vor, dass der Abgeordnete zum Bäcker kommt und die Bäckersfrau ihn fragt: ,Warum streichen Sie meinem Mann die Sozialkarte?‘“, sagt Hammerbacher. „Wir wollen denen deutlich machen, welche Verantwortung sie haben, wenn sie am Donnerstag darüber abstimmen.“

Momper hat nichts gegen Protest im öffentlichen Raum, wohl aber vor seiner Haustür. Er sei um die Uhrzeit ohnehin schon weg, sagte er: „Mir tun eigentlich vor allem meine Nachbarn Leid.“

Fatina Keilani

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