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Berlin: Havannas und Jazz im durchgeglühten Berlin

Inzwischen berauschen sich sogar jene Leute am Son alter kubanischer Herren, die sonst nie eine Weltmusik-Platte an ihren CD-Player lassen würden. Die Kuba-Mode darf man sich als eine Art musikalische Altersvorsorge vorstellen.

Inzwischen berauschen sich sogar jene Leute am Son alter kubanischer Herren, die sonst nie eine Weltmusik-Platte an ihren CD-Player lassen würden. Die Kuba-Mode darf man sich als eine Art musikalische Altersvorsorge vorstellen. Der Deutsche zündet sich eine Havanna an. Er denkt darüber nach, wie es sein wird, als zukünftiges Mitglied einer Renten-Gesellschaft. Er will gerne glauben, daß er mit neunzig noch "so natürlich" sein kann wie Ibrahim Ferrer. Er pafft. Und hustet. Schmeckt lecker. Was das alles mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auf Kuba zu tun hat, weiß ich nicht.

Der Pianist Ramón Valle ist Kubaner. Sein Spiel entspringt nicht der Nostalgie des kubanischen Altherren-Jazz. Er ist ein Youngster unter den kubanischen Jazzern. Einer, der in seinen Ausschweifungen impressionistische Jarrett-Sentenzen und Montuno-Riffs zusammenbringt, Liszt-Zitate und Son-Schnulzen. Ein begnadeteter Musiker im Rohschliff, manchmal etwas ungestüm virtuos, aber auf dem besten Wege dorthin, wo seine beiden Helden, Chucho Valdez und Gonzalo Rubalcaba, triumphieren. Die richtigen musikalischen Havannas werden jedenfalls im A-Trane ab Morgen bis Freitag, Beginn jeweils 22 Uhr, angezündet.

In einem unserer Lieblingsclubs, dem b-flat, glaubt man eine originelle Idee gehabt zu haben. Man füllt das Sommerloch mit Frauen. Endlich einmal Raum schaffen für "Women im Jazz-Sommer", war der Gedanke, Gelegenheit für musikalische Wiedergutmachung in einer vom Männlichkeitswahn nicht ganz befreiten Jazzwelt. Ob es allerdings gut ist, dem Macho-Gehabe der Jazz-Männer mit der Ghettoisierung eines Frauen-Programms zu antworten, wage ich zu bezweifeln. Schließlich hat Susanne Bartels, die souverän zwischen Song-Tradition und subtilem Scat-Vokalisen balancierende Sängerin, schonende Behandlung nicht nötig. Sie kann sich mit ihrer Vokal-Phantasie in der Berliner Szene auch so behaupten (Fr. 6. 8., Beginn 22 Uhr).

Die Deutschen träumen von Kuba. Und die amerikanische Jazzkritik, wovon träumt sie? Von Holland. Eine wahre Europa-Nostalgie ist über die US-Kollegen eingebrochen, führende Jazzkritiker schreiben Bücher nicht über aktuelle New Yorker Szene, sondern über improvisierte Musik aus den Niederlanden, Italien, Deutschland. Eigentlich war Kevin Whitehead, der Zar des amerikanischen Jazzmagazins "Down Beat", nur zur Recherche nach Amsterdam gereist. Jetzt lebt er dort. John Corbett, sein Nachfolger, reist kreuz und quer durch Europa, um in Rundfunk-Archiven nach Improvisations-Juwelen von europäischen Jazz-Meistern zu suchen. Ein solcher ist der niederländische Tenorist Tobias Delius, zu hören am Samstag bei den Hofkonzerten (Beginn 20 Uhr). Delius Spiel begeistert durch Finesse und auftrumpfendes Musikantentum. Seine Soli schlagen Haken durch die große schwarze Tenor-Tradition: von der melodischen Vierschrötigkeit eines Archie Shepp über das erotische Flüstern Ben Websters bis hin zum muskulösen Bop eines Don Byas.

Als ich John Corbett das letzte Mal traf, klopfte er freudig auf den Koffer, in dem unveröffentlichte Aufnahmen von Säulenheiligen aus Jazz-Europa steckten. "Wenn man so etwas von einem amerikanischen Jazzer finden würde, würden sich die Leute hier vor Aufregung überschlagen". Tja, was sagen die Europäer dazu? Sie träumen. Von Kuba.

Günther Huesmann

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