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Berlin: Heile, heile, Segen

Werden Kirchgänger besser mit Krebs fertig? Sind religiöse Menschen glücklicher? Einige Studien deuten darauf hin Aber die frohe Botschaft gilt nicht immer. Über die Heilkraft des Glaubens

Der Berliner Michael Utsch, der sich auf wissenschaftliche Weise mit dem Thema Gott, Glaube und Gesundheit befasst, formuliert es so: Wir haben einen beispiellosen technischen Forschritt erlebt. Haben Antibiotika und Kernspintomographen entwickelt. Jeder Millimeter unseres Körpers lässt sich heute durchleuchten.

Eins nur ist uns bei diesem Mikroskopenblick aus den Augen geraten: der Mensch selbst, der nicht nur eine Ansammlung von Atomen und Molekülen ist, ein Häufchen Materie und Mechanik, sondern auch ein geistiges, ja spirituelles Wesen. Geist, Seele, das hört sich altmodisch an, und doch: Irgendwo auf dem Weg in die High-Tech-Medizin, so empfinden es viele, nicht nur in dieser Osterwoche, ist etwas auf der Strecke geblieben. „Was den Einfluss des Glaubens und der Spiritualität auf unsere Gesundheit betrifft, haben wir etwas verschlafen“, sagt Utsch. „Das wird jetzt aufgeholt.“

Somit sei es also nur natürlich, meint Utsch, der an der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen in Berlin tätig ist, wenn sich die rationale Schulmedizin inzwischen mit einem so irrationalen Thema wie dem Gottesglauben auseinandersetzt. Auch nüchterne Ärzte und Forscher erkennen: Religion und Spiritualität sind mehr als „Spuk“, haben einen nachweisbaren Einfluss auf die körperliche und geistige Gesundheit. Medizin besteht eben nicht nur aus Antibiotika und Antidepressiva, sondern auch aus etwas für die strenge Naturwissenschaft so Unfassbarem wie dem Glauben.

Doch so unfassbar ist der Glaube gar nicht. Er lässt sich bis zu einem gewissen Grad durchaus messen. In den letzten Jahren haben sich Dutzende von Studien angesammelt, in denen Forscher dem Zusammenhang zwischen Glauben und Gesundheit auf den Grund gegangen sind. Dieses Jahr finden allein in Europa drei Kongresse unter dem Motto „Psychotherapie und Spiritualität“ statt. „Das wäre vor zehn Jahren noch undenkbar gewesen“, sagt Utsch.

Um es vorwegzunehmen: Es lässt sich nicht etwa nachweisen, dass Gott eine gesundheitsfördernde Kraft im objektiven Sinne besitzen würde. Beten für einen Kranken zum Beispiel hat auf den Kranken keinen messbaren Effekt. In der bislang größten Studie dazu, veröffentlicht letztes Jahr im Fachmagazin „American Heart Journal“, zeigte sich: Bypass-Patienten, für deren Gesundheit andere Menschen regelmäßig die Hände falteten und ein Gebet aussprachen, ging es nicht besser als einer Kontrollgruppe.

Was sich jedoch messen lässt ist die subjektive Kraft, die der Glaube und die Religion entfalten können – Gott als psychisches Phänomen. Schon Freud hatte sich darüber Gedanken gemacht und die Religion als „kollektive Zwangsneurose“ eingestuft, als krankhafte Störung also.

Ein Blick auf die neueren Untersuchungen zeigt uns ein anderes, differenziertes Bild. So hat der Psychologe und Theologe Constantin Klein von der Uni Leipzig kürzlich in einer Übersichtsstudie zahlreiche Untersuchungen zum Thema ausgewertet und kommt zum Schluss: Religiosität ist keine Zwangsneurose, im Gegenteil, im Großen und Ganzen tut sie der Psyche gut. Religiöse Menschen sind weniger alkoholabhängig, weniger depressiv, sie sind optimistischer, zufriedener mit ihrer Ehe, ihre Scheidungsrate ist geringer, ebenso ihre Selbstmordrate. „Je stärker die innere, gelebte Religiosität, desto deutlicher ist der Effekt“, sagt Klein.

Und wie es scheint, ist der Gottesglaube nicht nur Balsam für den Geist, sondern auch für den Körper. Studien belegen, dass Gläubige einen niedrigeren Blutdruck haben und besser mit Herz-Kreislauf- und Krebserkrankungen fertigwerden. Als die Epidemiologin Lynda Powell vom Rush University Medical Center in Chicago rund 150 Studien zum Thema sichtete, stieß sie auf einen Befund, der sie regelrecht „umgehauen“ habe: Menschen, die regelmäßig in die Kirche gehen, haben eine um 25 Prozent reduzierte Sterblichkeitsrate!

Das klingt nach einer frohen Botschaft – allein, manchen fehlt der Glaube. Skeptiker kritisieren: Klar, dass die Sterblichkeitsrate bei Kirchgängern geringer ist; Schwerkranke begeben sich ja schließlich auch erst gar nicht in die Kirche! Also ist die Gruppe der Kirchgänger von vornherein gesünder.

Ob die Kritik zutrifft oder nicht, sie wirft eine wichtige Frage auf: Religiosität mag sich statistisch gesehen positiv auf die Gesundheit auswirken – aber worin genau besteht der „aktive Wirkstoff“ der Religion? Liegt er in der Religion selbst? Oder sind es eher die Begleitumstände der Religiosität, die unsere Gesundheit fördern? Ist zum Beispiel die Tatsache ausschlaggebend, dass ein religiöser Mensch meist stärker in einem sozialen Netz eingebunden ist? Oder dass er weniger Alkohol trinkt? Ist es so, dass konservative Menschen eher zur Religion neigen und zugleich zu einem gesunden Lebensstil?

Keiner hat definitive Antworten, aber es gibt erste Befunde, die darauf hindeuten, dass zumindest der Gottesglaube als solcher noch kein Gesundmacher ist. Er kann sogar schädlich sein. So untersuchte der Psychologe Kenneth Pargament von der Bowling Green State University im US-Staat Ohio fast 600 Patienten mit den unterschiedlichsten Erkrankungen; sie reichten von leichten Magenbeschwerden bis hin zu Krebs. Sein Befund: Die, die meinten, Gott würde sie mit der Krankheit bestrafen, hatten ein um 30 Prozent erhöhtes Risiko innerhalb des Beobachtungszeitraums von zwei Jahren zu sterben. „Es kommt sehr auf die Tönung des Gottesbilds an“, sagt Utsch. Ein vergebender Gott kann Körper und Geist entlasten. Ein Richtergott belastet.

Der Experte Utsch vermutet, dass der positive Effekt der Religion auf die Gesundheit vor allem mit Einstellungen wie Dankbarkeit und der Fähigkeit, anderen zu vergeben, zusammenhängt. Beides reduziert Stress. Beides stimmt ausgeglichener. Vielleicht ist es also letztlich das Gesamtpaket der Religion – zusammengesetzt aus einem unterstützenden sozialen Netz, einem gesünderem Lebensstil und dem Gefühl, nicht einer sinnlosen Welt ausgeliefert zu sein –, das uns wohl tut.

Oder es ist etwas ganz anderes. Eine Hamburger Psychologin ging für ihre Doktorarbeit der Frage nach, ob Gläubige wirklich weniger zu Depressionen neigen als Ungläubige. Ihr Ergebnis: Tatsächlich wurden die stark Gläubigen in geringerem Maße von depressiven Gefühlen geplagt. Ähnlich jedoch verhielt es sich mit den dezidierten Atheisten. Jene Gemäßigten dagegen, die sich im Ungefähren, zwischen Glaube und Unglaube, zwischen Himmel und Erde bewegten, litten am meisten unter Depressionen. Offenbar tut der Psyche ein klares Weltbild gut.

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