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Berlin: Heilung ausgeschlossen

Petra Anwar ist Home-Care-Ärztin. Sie betreut sterbenskranke Tumorpatienten zu Hause

„Freude“ – das antwortet Petra Anwar, wenn man sie nach ihrer Arbeit fragt. „Ich weiß schon, das klingt eigenartig.“ Keinen Patienten heilen können, am Ende immer nur wieder einen Leichenschauschein ausstellen, wie soll das einen Arzt erfüllen? Die Antwort ist schlicht: Als Home-Care-Ärztin kann Petra Anwar zwar nicht mehr heilen – aber doch helfen, und das in der wohl schwersten Zeit des Lebens.

8000 Menschen sterben in Berlin jährlich an Krebs. Oft ist die Zeit vor dem Tod eine Phase der Pflegebedürftigkeit, der Schmerzen und Ängste. Es ist die Phase nach dem Krankenhaus, nach der letzten Operation oder Chemotherapie, wenn die Ärzte beschlossen haben: „Für Sie können wir leider nichts mehr tun…“ Um Patienten in dieser Situation aufzufangen, haben in den neunziger Jahren Berliner Krebsärzte den Verein „Home Care“ gegründet, der, dem Hospizgedanken verwandt, Sterbenden noch Lebensqualität und medizinische Betreuung ermöglichen will. 22 Home-Care-Ärzte gibt es inzwischen, die in der Regel als Mitarbeiter bei niedergelassenen Onkologen angestellt sind. Bisher ausschließlich in Berlin, denn nur hier wird die Arbeit von Home-Care-Ärzten von den Krankenkassen finanziert.

Als Home Care-Ärztin wandelt Petra Anwar zwischen zwei Welten. Wenn sie mit ihrem Mann und den drei kleinen Kindern gefrühstückt hat, setzt sie sich ins Auto und fährt durch den Großstadtverkehr zu ihren Patienten nach Hause. Hier steht die Zeit still und rast zugleich. Der Tod ist nur eine Frage von Wochen oder Monaten, die unvermeidlich nächste Station der Reise. Verzweiflung und Angst sind oft das Erste, was der resoluten Ärztin begegnet, wenn sie an der Tür steht und mit heiseren Raucherstimme aufgeräumt „Guten Morgen“ wünscht. Vertrauen muss sie gewinnen, damit die Panik weichen kann. Als Medizin hat sie Schmerzmittel in ihrem Koffer, so stark, dass es immer hilft, doch noch wichtiger sind: „Sehr viel Zeit. Unbedingte Aufrichtigkeit. Und das Versprechen: Ich bin da.“

Petra Anwars Handy steht grundsätzlich auf Empfang. Sie geht nie ins Schwimmbad, weil sie dort das Telefon nicht hören könnte. Und wenn sie einmal mit ihren Kindern allein bleibt, ist ihr Mann nie weit weg, um im Einsatzfall sofort zu übernehmen. „Eine ganze Familie in Rufbereitschaft“, sagt Petra Anwar, „die Kinder kennen es gar nicht anders.“

Wenn ein Patient ihre Nummer wählt, kommt Petra Anwar sofort, punktiert, erklärt Symptome, beruhigt ängstliche Angehörige. Es ist das Versprechen der Ärztin, das ihren Patienten die Sicherheit geben kann, nicht qualvoll oder doch auf der Intensivstation im Krankenhaus sterben zu müssen, wenn es so weit ist. „Die allermeisten schlafen irgendwann friedlich ein“, sagt Petra Anwar, „das zu wissen beruhigt. Mich übrigens auch.“

Wenn die Angst weicht, gibt es Raum, dem Tod ins Gesicht zu sehen – und in glücklichen Fällen auch, das Leben in seinem Ausgang noch einmal besonders intensiv zu spüren. In Petra Anwars Haus hängt ein Bild voll leuchtender Farben, das ein Patient für sie gemalt hat, wenige Tage vor seinem Tod. Es sind die persönliche Nähe und die Intensität der Situation, die ihren Beruf schön, aber auch sehr traurig machen. Wäre da nicht die ganz andere Welt, die der Familie, die Kinder, die sie fordern, es wäre wohl nicht auszuhalten. Denn gegen die Schmerzen des Abschieds kann auch eine Ärztin nichts tun. Petra Anwar war noch nie auf einer Beerdigung.

Die Fernsehjournalistin Mechthild Gaßner hat für die fünfteilige Doku-Serie „Die letzte Reise“ über Sterben und Sterbebegleitung in Berlin auch die Arbeit von Petra Anwar ein halbes Jahr lang begleitet. Zu sehen auf Arte ab Montag (täglich um 20.15 Uhr). Spendenkonto Home Care: 22 00 33 6 33, Berliner Sparkasse.

Kirsten Wenzel

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