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Berlin: Heißer Tanz um Sarrazin

Tempodrom-Affäre: Koalition bereitet sich auf Anklage gegen Finanzsenator vor. Einige SPD-Politiker suchen schon einen Ersatzmann

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Berliner Staatsanwaltschaft will im September Anklage gegen den ehemaligen Stadtentwicklungssenator Peter Strieder und gegen Finanzsenator Thilo Sarrazin erheben. „Das wird noch ein heißes Tänzchen“, heißt es in der SPD-Führungsriege. Es geht um den Verdacht der Untreue bei der Finanzierung des Tempodrom. Es gibt eine 50 Seiten starke „rechtliche Würdigung“ der Ermittler, die im Sponsoringvertrag der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) für das Tempodrom einen Verstoß gegen die Haushaltsordnung sehen. Sie gilt den Regierungsparteien SPD und PDS als sicheres Zeichen dafür, dass sich Strieder und Sarrazin demnächst vor dem Landgericht verantworten müssen.

Schon rüsten beide Seiten auf. CDU, Grüne und FDP fordern vorsorglich den Rücktritt Sarrazins. Ex-Senator Strieder ist nicht mehr interessant, weil er in die private Wirtschaft abtauchte. Die Landes- und Fraktionschefs von SPD und PDS, Michael Müller und Stefan Liebich, versichern öffentlich, dass sie an Sarrazin festhalten wollen. Der Regierungschef Klaus Wowereit (SPD) will das auch, gibt aber keine Erklärungen ab, um sich nicht dem Vorwurf der Justizschelte auszusetzen. Bemerkenswert ist, dass sich die PDS für den ungeliebten Sarrazin so stark macht. Strieder war für Liebich nur „ein Problem des Koalitionspartners SPD“. Der Unterschied liegt wohl darin, dass ein erzwungener Rücktritt des Finanzsenators den Nerv des rot-roten Senats träfe. Er ist nun mal eine Zentral- und Symbolfigur dieser Regierung.

Außerdem fürchtet man in der PDS den Dominoeffekt: Nach Strieder und Sarrazin könnte sich die Opposition noch den Wirtschaftssenator Harald Wolf (PDS) vorknöpfen , der – wenn auch als Randfigur – an der Tempodrom-Finanzierung beteiligt war. Nicht nur der PDS-Haushälter Carl Wechselberg wiederholt ständig: „An den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft ist nichts dran.“ Koalitionsintern werden die Ermittlungen als perfekt inszenierter Versuch „hoch politisierter Staatsanwälte“ eingeschätzt, den SPD/PDS-Senat auszuhebeln. Mit diesem erheblichen Vorwurf lässt sich aber kein Politiker zitieren. Dem hält der Rechtsanwalt Michael Braun (CDU), der den Tempodrom-Untersuchungsausschuss leitet, kühl entgegen, „dass die Staatsanwaltschaft dauernd von Regierungspolitikern kritisiert wird, die selbst keine Juristen sind.“

Politisch gesehen ist die Qualität der bevorstehenden Anklage auch gar nicht das Hauptproblem der Koalition: Die öffentliche Wirkung wird verheerend sein und der Prozess vor dem Landgericht äußerst langwierig. Was hätte die SPD davon, wenn das Verfahren nach der Abgeordnetenhauswahl 2006 im Sande verliefe? Der politische Schaden tritt sofort ein. Und so ist das trotzige Bekenntnis der SPD-Spitze, Sarrazin unbedingt halten zu wollen, möglicherweise nicht das letzte Wort. Einige Genossen denken schon über einen Nachfolger für Sarrazin nach. Die nahe liegende Lösung, hört man in SPD-Kreisen, wäre die Beförderung des fleißigen, loyalen Finanz-Staatssekretärs Hubert Schulte zum Senator.

Der 53-jährige Volkswirt ist seit Oktober 2003 im Amt, arbeitet unauffällig, aber effektiv und wird auch von der Opposition respektiert. Und zwar nicht nur wegen seines trockenen westfälischen Humors. Schulte bringt einschlägige politische Erfahrungen mit: Er war Chef der Senatskanzlei in Hamburg, finanzpolitischer Referent der SPD-Bundestagsfraktion und in der Grundsatzabteilung des Bundesfinanzministeriums tätig. Er ist, wie Sarrazin, ein harter Konsolidierer und Modernisierer, aber deutlich verbindlicher im Ton. Sagen wir es so: Sollte der Finanzsenator nicht zu halten sein, würden vor allem jüngere Aktivisten in der SPD und die Sozialpolitiker keine Trauerbinde tragen. Die Parteibasis hat auch sorgfältig registriert, dass der Wechsel von Strieder zu seiner Ex-Staatssekretärin Ingeborg Junge-Reyer durchaus Vorteile brachte. Sie ist bei den Wählern beliebt und hat sich rasch zur entschlussfreudigen Senatorin entwickelt, die viele Probleme anpackt, die bei Strieder in der Warteschleife liefen.

Sollte Sarrazin doch bleiben, wird er bei den Genossen wohl keinen Kredit mehr für flotte Sprüche haben. Mit stillschweigender Billigung der Parteiführung sind ihm in jüngster Zeit SPD-Abgeordnete und -Fachleute mehrfach öffentlich über den Mund gefahren: Als er sich über den Elternprotest gegen die Kitagebühren empörte, für den Verkauf aller städtischen Wohnungsunternehmen, für die Autobahn-Maut oder gegen den Kündigungsschutz aussprach. Kommt es im September hart auf hart, kann der Finanzsenator bei vielen Genossen nur aus machttaktischen Gründen auf Solidarität hoffen.

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