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Berlin: Helfen oder drohen? Mitarbeiter der Jugendämter bewegen sich auf einem schmalen Grat Familienrichter kritisieren Organisation der Behörden und den Datenschutz

Wenn Kinder leiden oder sterben, weil ihre Eltern sich nicht um sie gekümmert haben, fragen alle nach dem Jugendamt: Gab es keine Hinweise? Haben die Mitarbeiter zu lange darauf vertraut, dass sich eine überforderte Mutter oder ein gestresster Vater melden, wenn sie Hilfe brauchen?

Wenn Kinder leiden oder sterben, weil ihre Eltern sich nicht um sie gekümmert haben, fragen alle nach dem Jugendamt: Gab es keine Hinweise? Haben die Mitarbeiter zu lange darauf vertraut, dass sich eine überforderte Mutter oder ein gestresster Vater melden, wenn sie Hilfe brauchen? Oder war das Jugendamt nicht hart genug gegenüber der Mutter oder den Eltern, weil deren Erziehungsrecht sogar im Grundgesetz verbürgt ist? Ganz klare Antworten gibt es selten – das wissen gerade Familienrichter. Denn sie müssen zum Beispiel entscheiden, ob ein Sorgerechtsentzug rechtens war oder nicht. Wer mit Familienrichter über die Arbeit der Jugendämter spricht, bekommt schnell das Gefühl, dass kein Richter mit einem Jugendamtsmitarbeiter tauschen will; sie wollen auch nicht namentlich in der Zeitung stehen.

Dass es für die Leute vom Jugendamt so schwierig ist, habe nichts mit den rechtlichen Grundlagen zu tun, sagt eine langjährige Familienrichterin. Die nämlich seien klar: Pflege und Erziehung sind Sache der Eltern und die „ihnen obliegende Pflicht“, wie das Grundgesetz sagt. Versagen die Eltern dabei und gefährden ihr Kind, muss das Familiengericht, so das Bürgerliche Gesetzbuch, „die zur Abwendung der Gefahr erforderlichen Maßnahmen“ treffen.

Ob es dazu kommt, liegt an der Vorarbeit der Jugendämter. Die aber sei, so sagt eine andere Familienrichterin, in den vergangenen Jahren komplizierter geworden. Dafür nennt sie drei Gründe: Erstens habe die Sozialgesetzgebung seit den frühen neunziger Jahren zu einem stets wachsenden Beratungsangebot geführt. Der Beratungsaufwand – so der Eindruck der Familienrichterin – sei auf Kosten der Interventionsmöglichkeiten gegangen. Schließlich entscheiden Jugendamtsmitarbeiter nicht einfach so über einen Sorgerechtsentzug.

Der zweite Grund hat mit der Organisation der Ämter zu tun. Der Mitarbeiter, der einer Familien bei vielen Besuchen Hilfen, Therapien, Rat angeboten hat, ist derselbe, der womöglich sagen muss: Sie schaffen es nicht. Sie vernachlässigen das Kind. Es muss ihnen weggenommen werden. Das macht solche Entscheidungen nicht leichter.

Leicht hat es aber offenbar derjenige, der sich den Nachforschungen des Jugendamtes entziehen will. Der Datenschutz mache große Schwierigkeiten, sagt die Familienrichterin. Sei eine Familie zum Beispiel als schwierig und beratungsresistent beim bezirklichen Jugendamt bekannt, brauche sie bloß den Wohnort zu wechseln, um alle Spuren zu beseitigen, die auf mögliche Vernachlässigung hinweisen. Der Vorgang beim Amt wandere nicht mit.

Es sei mal üblich gewesen, sagt die Richterin, in der jede junge Mutter in Berlin einen kleinen Besuch vom Jugendamt bekam – bloß um zu gucken, ob die Mutter womöglich Hilfe brauchen würde. Das geschieht heute nicht mehr. Deshalb erinnert die Familienrichterin daran, dass nicht allein Polizei und Ämter Hinweisen auf vernachlässigten Kinder nachgehen müssen. Auch das Gericht habe die Pflicht zur Amtsermittlung. wvb.

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