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Hellersdorf: Wenn Sex das Leben von Kindern bestimmt

Ein Buch des Arche-Gründers Bernd Siggelkow beschreibt 30 Schicksale von Jugendlichen aus Hellersdorf. Siggelkow warnt darin vor der sexuellen Verrohung einer gesamtdeutschen Jugend. Katholiken warnen allerdings vor Verallgemeinerung.

Achtzig Jugendliche hat der Pfarrer und Gründer des Kinderhilfswerkes „Arche“, Bernd Siggelkow, mit Co-Autor Wolfgang Büscher zu ihrem Intimleben befragt. Die Erlebnisse von 30 unter ihnen veröffentlichte der Verlag „GerthMedien“ in Buchform. „Deutschlands sexuelle Tragödie“ ist dabei herausgekommen. „Sexsucht, Pornografiesucht und extreme sexuelle Verwahrlosung sind unter Deutschlands Kindern und Jugendlichen weit verbreitet“, so die These. Dass damit die Lebenswirklichkeit einer großen Zahl von Jugendlichen getroffen wird, ist nach der Vorstellung des Buches gestern jedoch eher zu bezweifeln.

Der Bund der Deutschen Katholischen Jugend warnte vor Verallgemeinerungen. Nicht nur in kirchlichen Jugendverbänden sei ein ernsthaftes Bemühen um einen verantwortungsvollen Umgang mit der Sexualität zu beobachten. Es gebe unter Jugendlichen eine große Sehnsucht nach Treue und Verlässlichkeit. Auch der Vorsitzende der Bundesarbeitsgemeinschaft Katholische Jugendsozialarbeit sieht „keine Tendenz zu einer sexuellen Verrohung von Minderjährigen“, so Pater Franz-Ulrich Otto. Jugendliche gingen mit ihrem Sexualleben für kirchliche Vorstellungen sicher „sehr freizügig, aber nicht unverantwortlich um.“

Jakob Pastötter, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung, hält sich mit der Bewertung zurück: „Es gibt bisher keine Studie dazu“. Pornografie sei heute aber frei zugänglich und ihr Image aufgewertet. Die Mode hat den „Pornoschick“ entdeckt. Musiker wie Bushido oder Internetsternchen wie Lady Bitch Ray finden Beachtung. So verbreite sich auch die „pornografische Botschaft: Mach’ es, sofort!“, wie Pastötter es nennt. Deren Dringlichkeit beinhalte Gewalt und Herrschaft, anders als in der Sexualität, „deren Form zwischen Partnern ausgehandelt wird“.

Für Stern-Autor Walter Wüllenweber, dessen preisgekrönte Reportage zu dem Thema den Anstoß für das Buch gab, ist das Phänomen „schichtenspezifisch“: Bei manchen Familien mit geringem Einkommen und wenig Bildung gehörten Pornofilme bereits zum Alltag. Auch der Verleger des Buches sagt, es seien viele Beispiele „aus der Unterschicht“. Und die Autoren sprechen von einer Häufung von Fällen in Großstädten. So schränkt Pfarrer Siggelkow ein: „Diese Kinder kennen keine Geborgenheit und Liebe aus ihrem Familienleben“, sagt er.

So flossen auch Erfahrungen aus dem Milieu ein, in dem das Kinder- und Jugendzentrum „Arche“ seinen Sitz hat: Hellersdorf. Die sozialen Probleme in der Großsiedlung sind bekannt: Viele Menschen haben keine Arbeit, Kinderarmut ist verbreitet, und im Norden von Hellersdorf sind 36 Prozent aller Frauen alleinerziehend. Die Autoren haben mit Achtjährigen gesprochen, die pornografische Filme gemeinsam mit ihren Eltern sahen. Und mit Neunjährigen, die ihren Eltern beim Geschlechtsverkehr zusahen. Eine 13-Jährige kam auf die stattliche Zahl von 20 Sexualpartnern. Diese Jugendlichen hätten keine festen Partner und feierten Gruppensexpartys.

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