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Oderberg

© Stefan Jacobs

Heute gibt’s Scholle: Mit 720 PS durchs Eis

Fünf Schiffe halten von früh bis spät die Berliner Wasserstraßen frei. Ohne sie bekäme das Heizkraftwerk keine Kohle – die Berliner säßen im Kalten.

Bevor Maik Wagner zum König wird, macht er noch mal kurz den Beamten. „Erhaltung der Leichtigkeit und Sicherheit der Schifffahrt“ laute sein Auftrag, und heute konkret: „Spree-Oder-Wasserstraße zu Berg, Richtung Königs Wusterhausen“. Wie gestern und wie morgen wieder, wenn nichts dazwischenkommt. Die Sonne überlegt noch, ob sie ihr Dunstbett verlassen soll, und über den Bauhof des Wasser- und Schifffahrtsamtes in Köpenick zieht ein Wind, der einem die Lippen zusammenklebt. Kein Wunder, Wasser friert nun mal bei solchen Temperaturen, so wie die Dahme hier zwischen Grünau und Wendenschloss und überall sonst. „Moin!“ ruft Kapitän Wagner seiner Mannschaft zu, Matrose Bojan Schmidt und Maschinist Silvio Reinus. Sie machen die Leinen los, der Diesel brummt, es ist neun Uhr, Schichtbeginn.

Risse schießen durch das Eis, das die „Oderberg“ umschließt. Wagner besteigt den Thron in der Mitte des panoramaverglasten Steuerhauses und schiebt den Gashebel zu seiner Linken vor. Die Rechte ruht auf dem Steuerhebel; das Schiff lässt sich mit zwei Fingern fahren. Silvio bringt seinem Käpt’n einen Kaffee in der Tasse mit aufgedrucktem Dreimaster, die Heizung steht auf vier, und Wagner sieht jetzt sehr zufrieden aus. Mit dem Achtzylinder im Rücken poltert er durch das froststarre Leben jenseits der Isolierglasscheiben – und sorgt dafür, dass es nicht zum Erliegen kommt.

Würden er und seine Kollegen hier nicht täglich von morgens um fünf bis abends um neun hin- und herfahren, Spree-Oder-Wasserstraße zu Berg und zu Tal, würde dem Heizkraftwerk Klingenberg die Kohle ausgehen und etwa 300 000 Berliner säßen im Kalten. An die 8000 Tonnen Lausitzer Braunkohle müssen für Vattenfall Tag für Tag vom Hafen Königs Wusterhausen zur Rummelsburger Bucht geschippert werden.

Rechts döst auf einem Baum ein Graureiher, links vor dem Ufer hält die BVG-Fähre Winterschlaf. Wagner könnte sie befreien. Aber mit einem forschen Schlenker würde er die umstehenden Stege zusammenschieben und bekäme einen Heidenärger. Es ist ja so schon schwer genug, einerseits schnell genug zu sein, um mit Wucht und Welle möglichst viel Eis aufzubrechen, und andererseits den Wassergrundstücksbewohnern nicht ihre Stege samt einer Ladung Crushed Ice in die Gärten zu schwemmen. Hier, zwischen den bewaldeten Ufern entlang der Regattastrecke, kann wenig passieren; Wagner gibt Gas. „Es ist immer schön auf dem Wasser, zu jeder Jahreszeit“, sagt er, lehnt sich zurück – und stutzt: Weit vorn springt etwas von Scholle zu Scholle. „Ein Fuchs“, ruft Wagner, „ich werd’ verrückt.“ Also Gas weg. Die Dahme ist an dieser Stelle knapp 300 Meter breit, der Fuchs befindet sich etwa in der Mitte. Wohl auf der Jagd nach Wasservögeln, hat er sich zu weit vorgewagt.

„Wat nu?“, fragt eine Stimme die Treppe hoch. Es ist der Maschinist, irritiert vom plötzlich gedrosselten Motor. Dann schauen sie gebannt, wie der Fuchs kämpft. Halb zieht es ihn, halb sinkt er hin, aber in wildem Zickzack gelingt ihm dann doch der Weg ans andere Ufer. Wagner sagt: „Ich kann mir nichts anderes vorstellen als auf dem Wasser zu sein.“

Die „Oderberg“ ist einer von fünf Eisbrechern, mit denen das Wasser- und Schifffahrtsamt die Berliner Gewässer freihält. Die Spree wird nur aufgebrochen, damit sich die Schollen nicht vor Brücken und Schleusentoren auftürmen. Die „Oderberg“ kommt gar nicht bis in die City, weil sie für manche Brücken zu hoch ist. Die von Schmöckwitz, auf die Wagner jetzt zuhält, hat gerade genug Platz. Er setzt die Mütze auf, öffnet die Luke über seinem Kopf und senkt das Führerhaus elektrisch ab. Zu dem Rumpeln, das sich wie eine Rangierfahrt mit der Museumseisenbahn anfühlt, kommen jetzt der eisige Fahrtwind und das Getöse vom dick zugeeisten Bug. Als würde die „Oderberg“ Steine zermahlen.

Nach vorn öffnet sich der Zeuthener See, links kämpfen zwei leere Schubschiffe. „Ich zieh’ an euch vorbei“, sagt Wagner in sein Funkgerät und überholt die beiden mühelos, obwohl die Schollen seit der letzten Tour schon wieder zusammengefroren sind. Was, wenn es so extrem kalt bleibt? „40 Zentimeter schaffen wir locker, und zur Not haben wir noch die Stampfanlage.“ Das sind zwei unrund laufende Räder im Bug, die den Eisbrecher wippen lassen, so dass er von oben auf die Schollen springen kann. Wagner ist die Ruhe selbst. Zwei von zwölf Stunden seiner Schicht sind um. Sieben Tage Arbeit, sieben Tage frei. Und wenn kein Eis ist? Normalerweise fährt er ein Bauschiff, oder, wie er es ausdrückt: „Da hab’ ich so’n Baggerponton vorm Kopf.“ Er hat den Beamten jetzt abgelegt und ist ganz er selbst: Ein glücklicher kleiner König in seinem 720 PS starken Reich. 

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