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Der ehemalige Berliner Polizeipräsident Georg Schertz ist Schwanenwerders heute bekanntester Bewohner

© Kitty Kleist-Heinrich

Hier lebten Joseph Goebbels und Axel Springer: Ein Rundgang über Schwanenwerder

Namen finden sich auf keinem Klingelschild. „Und wenn doch, dann ist es der Gärtner.“ Doch Ex-Polizeichef Georg Schertz kennt sie alle auf Schwanenwerder, Berlins exklusivster Insel mit dunkler Vergangenheit. Ein Spaziergang.

Schwanenwerder, dit is ebnt exklusiv, sagt der Berliner Volksmund, der die Insel vor 1945 auch mal Bonzenwerder genannt hatte. Eine Mini-Insel, mit dem angrenzenden Grunewaldufer durch eine kurze Brücke verbunden, dort, wo die Havel in Berlins Südwesten zum Großen Wannsee wird. Durch Schwanenwerder führt bis heute nur ein einziger Weg, die als ovale Schleife angelegte Inselstraße. An ihr haben Industrielle, Kaufleute, Bankiers gewohnt, viele von jüdischer Herkunft und ab 1933 vertrieben. Dann hatten einige führende Nazis in deren Villen Quartier genommen, die bekanntesten hießen Joseph Goebbels und Albert Speer. Davon wird noch zu reden sein.

Später, nach 1945, residierten hier eine Weile lang der amerikanische Oberbefehlshaber und spätere Präsident Dwight D. Eisenhower, der amerikanische Militärgouverneur Lucius D. Clay, dann auch der Verleger Axel Springer – und vor einiger Zeit gehörte zum Klatschtalk of the town, dass das multinationale Architekturbüro Graft für Brad Pitt und Angelina Jolie an der Inselstraße ein Refugium planen würden. Es blieb indes beim Klatsch. Echt exklusiv.

Schertz hat das kleinste, aber originellste Haus

Schwanenwerders heute bekanntester Bewohner hat gleich am Inselanfang das kleinste, gleichwohl originellste Haus. Er ist hier aufgewachsen und hat das auf Pfählen direkt am Wasser geradezu venezianisch gegründete Domizil von seinen Eltern geerbt: Georg Schertz, einst Berlins Polizeipräsident, der in diesem April 80 Jahre wird. Viele seiner Nachbarn, unter ihnen auch Startup-Unternehmer, Anwälte oder Kinder berühmter Journalisten, bleiben lieber ungenannt. Das war an der Inselstraße schon immer so, private Adressen finden sich auf keinem Klingelschild. „Wenn da ein Name steht“, sagt Georg Schertz mit einem trockenen Lächeln, „dann ist es der Gärtner.“

Ende März hat der von kurz gestutzten weißen Locken und einem kleinen Spitzbart gerahmte Herr, den rüstig zu nennen, sicher untertrieben wäre, gerade sein Segelboot mit dem Namen der Gattin aus dem Winterdock befreit und vor dem eigenen Bootssteg ankern lassen. Vor Ostern aber pfeift der Wind zu stark für eine Wasserpartie rund um die Insel. So folgen wir Georg Schertz zu Fuß auf der stillen Inselstraße, die gerade nur von ein paar Filmtrucks belebt wird. Man dreht eine Folge der TV-Serie „Der Kriminalist“ – in einer der kleineren Neubauvillen, die im inneren Teil des hügelförmigen Eilands errichtet wurden. Gegenüber den Großbauten zur Seeseite, zu denen auch, ausnahmsweise mit Namensschild, die wie ein postmodernes Ufo gelandete Berlin-Repräsentanz des Schrauben-Konzerns Würth gehört.

Es ist Berlins exklusivste Adresse

Wer hier wohnt, hat noch immer Berlins, ja wirklich: exklusivste Adresse. Es gibt überhaupt nur 40 Grundstücke, und die sind noch nicht alle bebaut, aber hoch gehandelt, soweit sie nicht rechtlich blockiert sind – manche aus mehr oder weniger historischen Gründen. Darüber weiß keiner besser Bescheid als Georg Schertz. Er hat noch mit den Goebbels-Kindern auf Schwanenwerder gespielt und nicht nur sein zehnter Geburtstag im April 1945 hat eine besondere Geschichte.

Um sie ein bisschen besser zu verstehen, bedarf es jedoch einer Rückblende. Mit der Gründung des Deutschen Reichs 1871 wurden auch manche Bürger der neuen Hauptstadt Berlin ziemlich reich. Nur eine Insel hatte nicht jeder. Die Preußenkönige und später Kaiser besaßen schon ihre wunderschöne Pfaueninsel nebenan. Also fiel der helle Blick des Kreuzberger Lampenfabrikanten Friedrich Wilhelm Wessel, der sich bereits ein Sommerhaus nahe dem gerade eröffneten Bahnhof Wannsee gegönnt hatte, auf die vorgelagerte Insel mit Namen „Cladower Sandwerder“. Er kaufte sie am 14. November 1882 von ihrem Besitzer Hugo von Platen, rund 250 000 Quadratmeter für schlanke 27 000 Mark. Ein sandiger Hügel mit einem Stück Wiese als Kuhweide.

Die Nazis kamen, machten sich die Häuser der jüdischen Eigentümer zu eigen

In der ehemaligen Bankiersvilla im Norden von Schwanenwerder, Baujahr 1913, befindet sich heute die Bildungsstätte der Evangelischen Kirche.
Mit Seeblick. In der ehemaligen Bankiersvilla im Norden, Baujahr 1913, befindet sich heute die Bildungsstätte der Evangelischen Kirche.

© Kitty Kleist-Heinrich

Wessel aber baute zunächst eine Holzbrücke und dann die Inselstraße, er ließ riesige Mengen Erde auf das Eiland karren, pflanzte Kiefern und Sträucher und begann mit der Parzellierung. 1901 genehmigte Wilhelm II. die klangvolle Umbenennung in Schwanenwerder, da hatte Wessel schon ein paar Grundstücke gewinnträchtig verkauft, erste Villen waren entstanden, und alsbald baute sich Wessel an der heutigen Inselstraße 37 die hübsche, im Aufmaß eher bescheidene „Villa Schwanenhof“. Das neobarocke Anwesen, mit dem gefiederten Namen überm steinernen Gartentorbogen, steht heute äußerlich unverändert. Es ist in Privatbesitz und harrt wohl nur einiger Schönheits- und Erhaltungsreparaturen.

Georg Schertz weist darauf hin, dass hier der höchste Punkt der Insel ist, von dem aus Wessel, als es noch keine hohen Bäume gab, einen ungehinderten Rundblick hatte. Eine noch bessere Aussicht hätte man damals allein von dem 1901 errichteten Wasserturm von Schwanenwerder gehabt, einem Pendant zum gleichfalls die Silhouette am Horizont prägenden Grunewaldturm.

Den auf alten, kolorierten Fotos hübsch anmutenden Wasserturm gibt es nicht mehr. Er stand oberhalb der weitläufigen, rosa gestrichenen Villa Monheim (Inselstraße 5), einer weiterhin im Familiebesitz befindlichen Residenz des „Trumpfschokolade“-Fabrikanten Richard Monheim – und gegenüber dem Grundstück Inselstraße 10. An dieser Adresse, gleich rechterhand, wo die Straße jenseits der heutigen Steinbrücke leicht ansteigt, finden sich zwei weiße Bungalows. Sie wurden für die von Shepard Stone, dem amerikanischen Diplomat und Historiker, 1974 gegründete Europa-Dependance des Aspen Institutes gebaut. Das Institut logiert inzwischen in Berlin-Mitte, die beiden Bungalows mit prachtvollem Blick havelaufwärts – sie stehen auf den noch vorhandenen Kellern der nach 1945 abgerissenen Villa des NS-Propagandaministers Joseph Goebbels.

Goebbels kaufte sich 1935 ein

Goebbels hatte das großbürgerliche Anwesen 1935 für günstige 270 000 Reichsmark gekauft, später erpresste er von dem bereits emigrierten jüdischen Bankier Samuel Goldschmidt für weit weniger als die Hälfte ein nur unwesentlich kleineres Nachbargrundstück, um dort unter anderem seinen eigenen Filmsaal zu installieren. Und Goebbels setzte 1936/37 den Abriss des Wasserturms durch. Angeblich störte er, obwohl in einiger Distanz und im Rücken seines Hauses, die Aussicht.

Georg Schertz, der Inselhistoriker, weiß das besser. „Goebbels sah in dem Turm ein mögliches Ziel im Fall von Luftangriffen. Man muss sich das vorstellen“, fügt Schertz mit einem Fingerzeig hinzu, „bereits damals rechnete er mit einem künftigen Krieg!“

Es waren die Jahre, in denen sich die neue Prominenz des „Dritten Reichs“ die Häuser und Grundstücke auf Schwanenwerder, von denen viele im Besitz jüdischer Eigentümer waren, zu eigen machten. Hitlers Architekt und Rüstungsminister Albert Speer, der nach seiner 20-jährigen Spandauer Haft auch in der Bundesrepublik noch als Bestsellerautor und Gesellschaftsfigur reüssierte, er wohnte unweit von Goebbels in der Inselstraße 18 im Anwesen des 1933 emigrierten früheren Generaldirektors der Schultheiß-Brauerei Walter Sobernheim. 1938 erwarb Speer noch für den Dumpingpreis von 150 000 Reichsmark ein prächtiges Großgrundstück der exilierten Baronin Goldschmidt-Rothschild, angrenzend an die Monheim-Villa. 1943, nach Stalingrad, als der kluge Speer das Ende wohl schon ahnte, verkaufte er die Liegenschaft für den dreieinhalbfachen Preis an die Reichsbahn und durfte den sogar damals umstrittenen Spekulationsgewinn auf persönliche Anweisung Hitlers hin behalten.

Er spielte oft bei den Goebbels, manchmal gab es Filme

Die Aufzeichnungen von Georg Schertz
Chronist. Zur Zeit der Luftbrücke notierte der Schüler Georg Schertz die Kennung jedes Wasserflugzeugs, das vorm Haus auf der Havel landete.

© Kitty Kleist-Heinrich

Der „Führer“ selbst hat auf Schwanenwerder nie Quartier genommen, obwohl ihm die Reichskanzlei das heute noch erhaltene älteste Anwesen der Insel reserviert hatte. Das 1896 gebaute ehemalige Anwesen des Bankiers Adolph Salomonsohn, Hausnummer 20/22, ist gut am roten Fachwerk zu erkennen. Jetzt stehen ein Holzindianer und ein bemalter Marterpfahl im Hof vor dem großen Landhaus, das in Teilen noch als städtisches Jugendheim dient und als Domizil eines Segelclubs, der die Immobilie gegen alle Verkaufsabsichten des Landes Berlin verteidigen will.

Hitler hätte seinen Leibarzt Theo Morell, der ihn bis in den April 1945 im Führerbunker mit Drogen versorgte, fast nebenan gehabt. Morell logierte in der „arisierten“ Villa des Bankiers Georg Solmssen. Es ist an der Spitze der Insel ein spektakulärer Platz. Später hat der Verleger Axel Springer auf dem Grundstück sein Berliner Domizil im britischen Landhausstil mit tief herabgezogenem grünem Walmdach errichtet. Die von üppigen Rhododendren umgebene Villa, Hausnummer 24/26, wurde von der Witwe Friede Springer vor einigen Jahren an einen Privatmann verkauft.

Ein Schild warnte: Privatbesitz! Befahren verboten!

Bis zum Jahr 1945 hing an der kleinen Brücke nach Schwanenwerder ein Schild „Privatbesitz, Befahren der Straße verboten“. Und in der ersten deutschen Version des 1933 auf den Markt gebrachten amerikanischen Immobilienspiels „Monopoly“ war die teuerste Straße, die man erwürfeln konnte, noch nicht die Schloßstraße. Es war die Inselstraße. Worauf Goebbels das Spiel verbieten ließ.

Ein Kinderspiel. Oder auch nicht. Der junge Georg Schertz hatte auf der Grundschule in Nikolassee und danach in Wannsee den Banknachbarn Helmut Goebbels. Helmut war neben fünf Schwestern der einzige Sohn von Magda und Joseph Goebbels. Bald freundeten sich die beiden gleichaltrigen Jungen an und spielten nach der Schule häufig miteinander. „Meinen Vater aber hatten die Nazis als Polizeimajor 1934 entlassen.“ Vater Schertz war Freimaurer in der von Friedrich II. gegründeten Berliner Loge, und Freimaurer sollten im NS-Reich nicht mehr Beamte sein.

Als wir im Schertz-Haus am Wasser sitzen, das sich schmal und zweigeschossig wie ein Schiff mit einem handtuchbreiten Gärtchen ans Ufer drängt, mit weitem Blick über die Havel, die vertäumten Boote und hinüber zum Grunewald, beginnt der bald achtzigjährige emeritierte Jurist und Polizeipräsident über seine Kindheit zu erzählen. Er möchte ausdrücklich keinen NS-Gedächtniskult betreiben. Aber die Erinnerungskultur schließt mit den Häusern der nur durch die Emigration vor der Ermordung bewahrten früheren jüdischen Bürger Schwanenwerders auch die sich an ihnen bereicherten Nazis mit ein. Schertz war deshalb für die gläsernen Informationsstelen, die seit 2013, gegenüber der Hausnummer 10 und nahe der aus dem einstigen Pariser Stadtschloss stammenden so genannten Tuileriensäule, auf die Inselgeschichte verweisen.

Er selber hat, obwohl er so oft bei den Goebbels spielte, den Hausherrn und seine Frau nur selten gesehen. „Präsent waren tagsüber nur die Kindermädchen und Hausangestellten.“ Seine Mutter, hatte er später erfahren, war durch die Nähe des Sohns zu Helmut G. zuerst beunruhigt und sprach deswegen einmal Magda Goebbels an: „Mein Mann wurde von der Regierung Ihres Mannes als Beamter entlassen.“ Frau Goebbels habe darauf gelächelt: „Ja, glauben Sie, das hätten wir nicht gewusst? Aber damit haben die Kinder doch nichts zu tun.“ Für die Schertzens eine Lehre in Herrschaftswissen. Der Propagandaminister befürchtete, dass sein eher scheuer Sohn im Kreis von fünf Schwestern und Kindermädchen zu „weibisch“ erzogen würde – und der junge Schertz war auf der exklusiven Insel der einzige gleichaltrige Junge.

Als die russischen Soldaten über die Brücke kamen, flunkerte der Vater

„Ein Mal“, erzählt Schertz, „war ich mit Helmut auch bei einer frühabendlichen Filmvorführung auf dem Goebbels-Anwesen dabei. Gezeigt wurde ein Propagandastreifen, bei dem russische Soldaten im Winter von deutschen MGs niedergemäht wurden, und der Schnee färbte sich vom Blut der Russen.“ Schertz glaubt, einen Farbfilm zu erinnern. Und kann nicht vergessen, dass Magda Goebbels ihren Mann gefragt habe, ob das etwas für die Kinder sei. Worauf dieser geantwortet habe: „Wenn sie’s nicht sehen können, sollen sie die Augen zumachen.“

Zu seinem zehnten Geburtstag am 24. April 1945 hatte Georg Schertz auch seinen Freund Helmut eingeladen. Aus Angst vor Kampfhandlungen hatten die Eltern die Feier auf den 20. April vorverlegt. Aber an diesem Tag, Hitlers letztem Geburtstag, zog die Familie Goebbels aus Schwanenwerder aus, wechselte zu ihrem Chef in den Berliner Führerbunker, wo Magda Goebbels Helmut und seine fünf Schwestern Ende April mit Giftspritzen töten ließ, bevor das Paar, kurz nach Hitlers Selbstmord, sich selber umbrachte.

„Wir haben diesen Mord an den eigenen Kindern erst nicht geglaubt. Meine Eltern meinten, das sei eine Finte, Helmut und seine Schwestern seien noch heimlich weggebracht worden, Richtung Südamerika …“ Und wie war das Kriegsende vor 70 Jahren? Georg Schertz lacht. Sein Vater hatte ihn mit seiner Mutter wegen Tieffliegerangriffen und russischem Artilleriebeschuss vom Ufer Richtung Flughafen Gatow immer mal wieder in den Bunker schräg gegenüber des Goebbels-Hauses geschickt. Der Bunker steht noch heute, hinter einem eingefallenen Holzhaus nahe den Stelen. Die einzige Tragödie, die sich auf dem jetzt verwilderten Grundstück je abspielte, war im Jahr 2002, als ein Sommerorkan eine dort zeltende Schülergruppe heimsuchte und zwei Jugendliche von entwurzelten Bäumen erschlagen wurden.

Plötzlich war es ruhig, die Geschütze schwiegen

Ende April 1945 war es dagegen plötzlich ruhig. Die Geschütze schwiegen, und nur ein paar russische Soldaten kamen zu Fuß über die Brücke. Vater Schertz im ersten Haus hinter der Brücke öffnete die Tür, die Soldaten wollten mit vorgehaltener Waffe wissen, wer er sei. Und der zwangspensionierte Beamte, der nicht mit den getürmten Nazis der Insel verwechselt werden wollte, sagte: „Ich bin der Pförtner.“ Die Russen sahen das kleine Haus, Vater, Mutter, Sohn und drei Stühle im Zimmer, sie riefen „Raboti“ („Arbeiter“) und zogen ab, mit proletarisch freundlichen Grüßen. So war das, vor gerade 70 Jahren.

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