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Am Haken. Für schwere Gerätschaften hat der Hilfszug einen Ladekran an Bord.

© uwe steinert

Hilfe bei entgleisten Zügen: S-Bahn kann sich wieder selber helfen

Neustart mit Symbolwert: Der aufgemöbelte Gerätezug bringt entgleiste S-Bahn-Waggons zurück in die Spur. Am Dienstag zeigte das Unternehmen, wie das geht.

„Jockel?! Dirk?! Beidseitig anheben! Thomas?! Ansetzen, hochfahren! Ja, super, ganz toll machst du das, Thomas!“ Jockel und Dirk kauern unter dem entgleisten S-Bahnzug, während Thomas konzentriert an der Steuereinheit der Hydraulikpumpen nestelt. Und Reinhard Eichberg, der „Aufgleisleiter“, schaut so zufrieden, als hätte seine Mannschaft soeben erfolgreich an eine Raumstation angedockt. Dabei ist zunächst nur die Nase des Zuges angehoben worden.

Es ist einerseits eine Routineübung, zu der die Bahn an diesem Dienstagmorgen in die Abstellanlage beim S-Bahnhof Grunewald eingeladen hat. Andererseits steckt in dieser Vorführung eine Menge Symbolik, denn hier führt ein Team von Fachleuten vor, wie sich ein havariertes Verkehrsmittel wieder in die Spur bringen lässt. Nachdem die S-Bahn ihren einzigen „Hilfsgerätezug“ sechs Wochen lang generalüberholt hat, kann sie sich nun wieder selber helfen, wenn etwas schiefgegangen ist. Und zwar jederzeit und ohne die BVG, die – wie schon beim Chaos im vergangenen Jahr – mit ihrer Technik als Retter in der Not fungieren sollte, solange es bei der S-Bahn nicht rund läuft. Die BVG hat vier solche Hilfszüge, die S-Bahn seit 2007 nur noch diesen einen. Jetzt aber erleben die Journalisten ein Team von Fachleuten, das unter Eichbergs Regie nur eine Viertelstunde braucht, um einen 36 Tonnen schweren Doppelwagen aus dem Gleisschotter zurück auf die Schienen zu hieven.

Reinhard Eichberg, der Aufgleisleiter, hat 36 seiner 52 Lebensjahre bei der S-Bahn verbracht und gehört zu jenem Schlag Bahner, die sofort glänzende Augen bekommen, wenn man sie auf den Nostalgiefaktor des Werkstattzuges anspricht. In ihrem früheren Leben fuhren die beiden 30er-Jahre-Waggons als ganz normale S-Bahnen durch die Stadt. Die massiven Alugriffe an den Türen, der Knall beim Schließen, das Schnaufen der Hydraulik beim Halt, die hölzernen Fensterrahmen und vor allem das tiefe Motorbrummen beim Anfahren – ja, das waren noch Zeiten. „Mit dieser Technik habe ich gelernt“, sagt Eichberg und lässt seine Blicke zwischen Radgestellen und Stromabnehmern schweifen. Mit dem überholten Hilfszug ist der Patient S-Bahn wieder ein Stück weiter ins Leben zurückgekehrt – ebenso wie mit den Zügen der DDR-Baureihe 485, die nach mehrmonatiger Zwangspause seit Wochenbeginn wieder fahren dürfen. Damit sind laut S-Bahn wieder 416 Doppelwagen im Einsatz – rund 140 weniger als in den guten Zeiten, aber mehr als doppelt so viele wie am Tiefpunkt vor einem Jahr.

Ob in Kaulsdorf vor einem Jahr oder am Südkreuz 2006: Der Hilfszug war bei fast allen Unfällen der vergangenen Jahre im Einsatz. Er hat Schweißbrenner, Ketten, Seile, Ersatzkupplungen, ein Hilfsfahrgestell und eine eigene Stromversorgung an Bord, um für alle Fälle gewappnet zu sein. Die Dienstpläne in der Betriebswerkstatt Wannsee sind so gestrickt, dass jederzeit ein Aufgleisleiter mit seiner achtköpfigen Mannschaft starten kann. Um alles Weitere kümmert sich ein Notfallmanager, der allerdings separat mit dem Auto zum Unfallort fährt.

Mit einem weiteren Hydraulikzylinder schieben Eichbergs Leute den Wagen zentimeterweise zurück über die Gleise. Die Zylinder sind kaum so groß wie ein Wassereimer, aber jeder kann gigantische 30 Tonnen hochstemmen. Als der Zug exakt an der richtigen Stelle schwebt, gibt Eichberg das Kommando zum Absenken. Millimeterweise. Dann steht der Zug wieder im Gleis, als wäre nichts gewesen. Aber Passagiere darf er vorerst trotzdem nicht befördern. Er gehört zur Problem-Baureihe 481 und ist einer der schwereren Fälle, die die S-Bahner erst noch abarbeiten müssen.

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