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Jährlich sterben 600 Jugendliche und junge Erwachsene durch Suizid. Darauf machten Aktivisten im September 2014 in Berlin aufmerksam.

© dpa

Hilfe bei Suizidgedanken: Hingucken, aufmerken, eingreifen

In Deutschland nehmen sich jährlich 10.000 Menschen das Leben. Angehörige und Freunde fragen sich: Was hätte ich tun können? Ein Patentrezept gibt es nicht – aber es gibt viele Tipps, Beratungsstellen und Online-Angebote.

Trennung und Enttäuschungen, Überforderung oder schlechte Noten, Mobbing wegen Homosexualität oder anderer Themen: Das sind – im Zusammenspiel mit anderen Faktoren – einige der Gründe dafür, dass ein Mensch nicht mehr leben möchte. Jedes Jahr nehmen sich in Deutschland den offiziellen Statistiken zufolge etwa 10.000 Menschen das Leben. Damit sterben mehr Menschen durch Suizid als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten und illegale Drogen zusammen, so die Bilanz der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention (DGS). Und die Anzahl der Suizidversuche liegt Schätzungen zufolge um ein Zehn- bis Zwanzigfaches höher. Um so wichtiger ist es, hinzugucken, aufzumerken, einzugreifen, Hilfe anzubieten, da zu sein. Und zwar nicht nur, nachdem ein Fall wie der Germanwings-Absturz die Öffentlichkeit schockiert, bei dem ein offenbar suizidaler Kopilot eine Amoktat beging und 149 Mitmenschen tötete.

Suizide für Bahn und BVG großes Thema

In den Medien werden konkrete Vorfälle selten aufgegriffen beziehungsweise sie werden von Sicherheitsbehörden und Verkehrsbetrieben erst gar nicht bekannt gemacht, weil man von Nachahmer-Effekten weiß. Für die Deutsche Bahn oder für die BVG sind Selbsttötungen ein großes Thema, denn viele Mitarbeiter, die so etwas miterleben, werden danach berufsunfähig. Daher unterstützt die Bahn auch im Stillen Präventionsprojekte gemeinsam mit der Stiftung Deutsche Depressionshilfe, etwa in Kliniken in der Nähe von Gleisen.

Besonders schlimm sind Suizide für die Hinterbliebenen. Weit mehr als 100.000 Deutsche erleiden jedes Jahr den Verlust eines nahestehenden Menschen durch Selbsttötung. In Berlin gibt es laut Statistischem Bundesamt seit einiger Zeit jedes Jahr rund 350 Suizidtote; davon waren beispielsweise im Jahr 2011 20 Menschen unter 25 Jahre alt.

Männer begehen mehr Suizide als Frauen

Laut Psychologen und Experten schneiden sich junge Frauen meist nur so weit mit dem Messer oder nehmen nur so viele Tabletten, dass man sie noch rechtzeitig findet – ein Hilfeschrei. Mädchen mit Migrationshintergrund flüchten radikaler in den Tod. 15- bis 25-jährige Frauen weisen die höchste Suizidrate auf, und jede zweite Frau, die sich in Deutschland das Leben nimmt, ist über 60 Jahre alt. „Drei Viertel aller vollendeten Suizide werden jedoch von Männern begangen“, sagt Michael Witte, Geschäftsführer der DGS und der Berliner Beratungsstelle für suizidgefährdete Jugendliche „Neuhland“. Männer verdrängten erst – und agierten dann radikaler.

Mit rund 900 Selbsttötungen im Jahr lag die Stadt Berlin noch in den 1980er Jahren ganz vorn in der Statistik. Zuletzt habe Berlin im Bundesvergleich aber sogar zweimal an letzter Stelle gestanden, sagt Witte. Das liege auch daran, dass es inzwischen so viele Hilfeangebote gebe (siehe unten). Mitmenschen sollten generell aufhorchen, wenn jemand sich plötzlich in seinem Wesen stark verändert, appellieren die Experten. Wenn also jemand, der sehr extrovertiert war, sich völlig in sich kehrt, oder umgekehrt.

Jede Anspielung auf Suizidgedanken sehr ernst nehmen

Rund 80 Prozent der Suizid-Gefährdeten kündigen ihre Absichten vorher an – beispielsweise durch ernste Sätze, Sprüche, Gesten oder Posts im Internet. Daher sollte jede Anspielung sehr ernst genommen werden, heißt es auch beim Berliner Krisendienst. Viele Betroffene fallen Psychologen zufolge auch eher unangenehm auf, als dass sie traurig oder verzweifelt wirken. Patentrezepte gibt es nicht, aber doch ein paar Tipps, wie man reagieren kann, um dem Menschen Mut zu machen, ohne selbst gleich all die Verantwortung auf sich zu nehmen.

Es gibt Alarmsignale

Alarmsignale seien, wenn jemand seine Schlaf- und Essgewohnheiten ändert, sich aus Liebgewonnenem nichts mehr macht, nach einer Trennung in Depressionen verfällt, sich abkapselt, hoffnungslos und selbstkritisch oder ständig rastlos ist. Die meisten Suizide geschehen nach Erfahrungen der DGS zudem in den drei Monaten nach beginnender Besserung, wenn der Patient von Neuem die Energie hat, selbstzerstörerische Entschlüsse auszuführen.

Grundsätzlich sei es gut, dem Gegenüber zu zeigen, dass er oder sie einem wichtig ist, sagt Anselm Lange, Geschäftsführer der Berliner Telefonseelsorge. Man solle den anderen sehr ernst nehmen und jegliche Gedanken oder Gefühle nicht abtun. „Hast du manchmal das Gefühl, alles hinschmeißen zu wollen?“, mit so einer Frage könnte man einen Einstieg finden, raten Psychologen. Man könne auch Brücken zu positiven Gefühlen bauen und fragen: Wenn du was Schönes erleben könntest, was wäre das? Und wie könnte ich dir helfen, das umzusetzen?

Fachleute können helfen

Manche Menschen wollten sich durch so eine Tat auch rächen. Oder jemand will zeigen: Da seht ihr mal, wie schlecht es mir wirklich ging! Oder denkt: So zahle ich es euch heim! Ich habe die Macht! Da ist es laut Lange wichtig, dem Gegenüber klarzumachen: Wenn du tot bist, kannst du ja gar keine Genugtuung mehr empfinden. Wichtig ist auch, auf Fachleute zu verweisen, die aus Ohnmacht und Ausweglosigkeit helfen können. Und wenn jemand Berührungsängste hat, kann man anbieten: Ich gehe gern mit dir dorthin.

Anlaufstellen in Krisen sowie für Infos und Beratung

Berliner Telefonseelsorge, rund um die Uhr erreichbar, sie berät auch Angehörige und Freunde Betroffener anonym: 0800-1110111. Sie startet im Sommer die Kampagne und den Wettbewerb „Suizid ist nicht die Lösung“ und bietet auch persönliche Hinterbliebenenberatung (Termine, tagsüber: Tel. 613 50 23).

Der Berliner Krisendienst ist rund um die Uhr unter der 39063-10, -20 usw. bis -90 zu erreichen. Werktags von 8 bis 16 Uhr hilft auch der Sozialpsychiatrische Dienst (SPD) in den Bezirken.Die BIG-Hotline bei häuslicher Gewalt für Frauen und Mütter: 611 03 00.

Die Beratungsstelle für suizidgefährdete Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene „Neuhland e.V.“ am Nikolsburger Platz 6 in Wilmersdorf hat die Rufnummer 8730111 (werktags 9-18 Uhr). Es können sich auch Angehörige und Bekannte melden. Es gibt Plätze in Krisenwohnungen. Der Jugendnotdienst rund um die Uhr: 610062 (für 14-bis 17Jahre & Angehörige).

Neuhland berät unter neuhland.beranet.info. „Jung und jetzt“ bietet „Jugendnotmail“. Hilfe und Tipps bei Freunde fürs Leben e.V.

Das Nationale Suizidpräventionsprogramm erreichen Sie hierüber.

Und über diesen Link erreichen Sie die Deutsche Gesellschaft für Suizidprävention.

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