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Hilfe für Flüchtlinge in Berlin: Endstation Sehnsucht

Beim Flüchtlingsrat beraten Rechtsexperten Menschen, die keinen Ausweg mehr wissen. Sie hoffen auf die Härtefallkommission

„Wir sind die Endstation Sehnsucht und für viele der letzte Rettungsanker“, sagt Monika Kadur. Ihre Endstation Sehnsucht ist ein winziges Büro in der Witzlebenstraße 30a in Charlottenburg. Auf einem Schild neben der Tür steht: „Flüchtlingsrat Berlin – Härtefallberatung“.

Eigentlich müsste dort „Für hoffnungslose Fälle“ stehen. Flüchtlinge, die hier an die Tür klopfen, wissen keinen anderen Ausweg mehr. Wenn sich hier jemand meldet, wurde bereits jeder rechtliche Schritt ausgeschöpft. „Wir können nur noch auf Humanität hoffen, es ist reines Gnadenrecht“, sagt Kadur. Sie ist mit ihrer Kollegin Monika Hermann ehrenamtlich im Flüchtlingsrat engagiert und hat sich auf die Härtefallberatung spezialisiert. Sie finanzieren die Arbeit über Spenden.

Hinter jeder Akte in Kadurs Büro steht ein Schicksal, das Gerichte bereits besiegelt haben. Viele Flüchtlingen haben nur eine Duldung, noch keine Aufenthaltserlaubnis, sie sind, so erklärt es die Beraterin, „ausreisepflichtig“. Kadur spricht von einem „Leben zwischen gepackten Koffern und Flugzeugtreppe“.

Vor der Tür warten die Stanokows – eine Roma-Großfamilie, wieder Menschen ohne Hoffnung. Schon jetzt ist Kadurs Büro voller Akten, manche mit roten Klebezetteln versehen, andere hängen in einem Rolltisch, im Holzschrank warten noch viel mehr. Berlin hat im Verhältnis zur Bevölkerungszahl die mit Abstand meisten Härtefälle unter Flüchtlingen – in den Jahren 2005 bis 2009 waren es 2968 Betroffene, allein bis Herbst 2010 wurden 258 Beratungsfälle aktenkundig.

Die Akte und die Stanokows, für beides ist ihre Endstation Sehnsucht zu klein, also führt Kadur die Familie in einen größeren Raum am Ende des Ganges. Dort blickt sie in verschüchterte Gesichter. Mutter Nadya ist Analphabetin, wie Vater Besnik leidet sie an Diabetes. Die Söhne, die Tochter, die ganze Familie ist ausgezehrt, spricht nur leise. Kadur muss jetzt Vertrauen aufbauen. Um später den Fall rekonstruieren zu können. Letztlich sucht die ehrenamtliche Beraterin nach humanitären Gründen für das Bleiben, die der jeweilige Innensenator – also Ehrhart Körting (SPD) – beim Abwägen einer Gnadenentscheidung lesen wird. Wichtig sind Sprachkurse, Ausbildungen und andere Schritte, die die Stanokows für eine Integration unternahmen.

Damit die Stanokows sich öffnen, erzählt Kadur zuerst von sich selbst. „Ein Vertrauensvorschuss.“ Die Stanokows erfahren, dass sie 1954 in Spandau geboren wurde. Sie wuchs in der Lüneburger Heide auf, ging nach Berlin zurück. Spät-68er nennt sie sich. „Wir haben immer gesagt, wir machen keine Karriere.“ Sie habe ein Gespür für Gerechtigkeit, sagt sie. 1975 war sie mit 21 Jahren in China, als Mao Zedong noch lebte. Wieder in Deutschland, arbeitete Kadur als Wirtschaftskorrespondentin bei einer Exportfirma und spricht daher Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch. „Obwohl ich jetzt für meine Arbeit beim Flüchtlingsrat Balkansprachen, Arabisch, Türkisch und Kurdisch können müsste.“ Bei der Exportfirma landete sie vor der Tür. „Weil ich einen Betriebsrat gründen wollte.“ Für einen indischen Ingenieur sollte Kadur später „verrückte Ideen als Quereinsteigerin“ liefern und fühlte sich nicht mehr ausgelastet. „Ich war ja das schnelle Arbeiten gewohnt.“

Bei Amnesty International fand sie eine Berufung: Sie hilft Flüchtlingen. 1981 sogar 200 Ghanaern auf einmal, denen die Massenabschiebung drohte. Die Rechtsexpertin kletterte einfach auf einen Tisch und übersetzte da oben die Briefe der Ausländerbehörde, damit alle sie verstehen konnten. „Die wilden Jahre.“ 1981 gründete sie mit anderen den Berliner Flüchtlingsrat. 1983 flüchteten infolge des Bürgerkriegs in Sri Lanka zahlreiche  Tamilen nach Berlin. Monika Kadur musste recherchieren, Asylanträge und Begründungen schreiben. Die Turnhallen waren damals voll, so viele Flüchtlinge.

Nachdem Kadur ihre Geschichte erzählt hat, sind die Stanokows an der Reihe. Dabei erfährt sie, dass die Familie während des Balkankriegs bereits einmal nach Deutschland geflüchtet war. 2003 ging sie zurück nach Serbien. Die Eltern wurden herzkrank, bekamen Diabetes, die Söhne hatten keinen Schulabschluss. 2010 flüchteten alle zurück nach Deutschland. Kadur merkt: Hier kann man ansetzen. „Die Frage ist, ob das Schicksal der Familie so mitgespielt hätte, wenn sie nicht nach Serbien zurückgegangen wären.“

Über die Stanokows entscheiden kann Kadur nicht, nur dafür sorgen, dass der Fall ausgewogen in der Härtefallkommission vorgetragen wird. Dort treffen sich seit 2005 der Flüchtlingsrat mit dem Integrationsbeauftragten des Senats, der Senatsfrauenverwaltung, dem Jesuiten-Flüchtlingsdienst, der evangelischen Kirche, der Arbeiterwohlfahrt und dem Migrationsrat. Jede Partei trägt ihre gesammelten Härtefälle vor, diesen Monat sind es 25. Es geht darum, ob Kinder hier weiter zur Schule gehen, ob Behandlungen weitergeführt werden können. Dann wird diskutiert und abgestimmt, wen die Kommission mit gutem Gewissen empfehlen kann. Die Stanokows bekommen sechs Ja-Stimmen bei einer Enthaltung. Ein gutes Ergebnis, findet Kadur. Entschieden ist damit noch nichts. Innensenator Körting muss seine Entscheidung aber nicht begründen, sagt Kadur. Im Fall der Stanokows gibt es auch von ihm ein Ja. „Er schaut sich an, ob die Fälle öffentlich vertretbar sind.“ Zwei Drittel ihrer Fälle bringt Kadur durch. Doch die Gnade, die die Stanokows bekommen, ist immer ein Sieg auf Zeit. Ihre Aufenthaltserlaubnis bleibt an Auflagen gebunden – wie bei den fast 2000 Menschen, die nach dem Einsatz der Härtefallkommission in Berlin bleiben konnten. Berlins Integrationsbeauftragter Günter Piening lobt, die Kommission habe „vielen bisher aussichtslosen Fällen eine Perspektive gegeben“.

Die Söhne und die Tochter der Stanokows müssen den Schulabschluss machen, eine Ausbildung beginnen. Schwierig findet Kadur, dass „die Menschen dabei immer sofort auf 150 Prozent schalten müssen“. In den Flüchtlingsheimen wären sie zur Untätigkeit gezwungen, sie haben ein Arbeitsverbot. „Nun müssen sie ihren Lebensunterhalt überwiegend selbst verdienen. Das ist für Ungelernte oft schwierig. Klappt es nicht, wird die Aufenthaltserlaubnis wieder entzogen und sie rutschen zurück in die Duldung.“

Ein Teufelskreis, findet Kadur. Doch wie kann er durchbrochen werden? „Ich persönlich gehe im Leben oft in Vorleistung. Was man aussendet, fällt auf guten Boden. Das bekommt man zurück.“ Selbst wenn es nur ein Sprachkurs sei, von dem die Menschen dann später in der Heimat profitieren. „Gründen sie später ein Exportgeschäft mit Deutschland, nützt das unserer Wirtschaft.“ Die Flüchtlinge eine jedenfalls alle eines: „Wer so eine weite Reise antritt, muss Mut haben.“

Kontakt: Telefon 32 00 01 49 (montags), E-Mail: haertefallberatung-fluechtlingsrat@gmx.de

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