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Berlin: Hilferuf der BVG-Chefin

Politiker sollen Gewalt deutlicher ächten Bisher 547 Übergriffe in diesem Jahr gemeldet

Der Weg ist ungewöhnlich: Die neue BVG-Chefin Sigrid Nikutta fordert in den ersten Wochen ihrer Amtszeit von der Politik nicht mehr Geld, sondern schlicht und einfach Engagement für den Betrieb und dessen Mitarbeiter. Zuletzt hat sie die Delegierten des SPD-Landesparteitages am vergangenen Wochenende gebeten, mitzuhelfen, die Angriffe auf Mitarbeiter der BVG und deren Fahrgäste abzustellen. Die Politiker sollten auch öffentlich zur BVG und deren Mitarbeitern stehen, schrieb Nikutta.

Die Zahl der Angriffe hat sich kaum verändert. Die Statistik sei „gleichbleibend schlecht“, sagte Unternehmenssprecherin Petra Reetz. Bis Ende Oktober seien 547 Übergriffe gemeldet worden, vorwiegend auf das Fahr- und Sicherheitspersonal. Die Zahl der Krankmeldungen nach Attacken sei sogar gesunken.

Nikutta befürchtet aber, dass man sich in der Stadt einfach an die Angriffe gewöhnt, die es auch in anderen Bereichen gebe. Etwa bei der S-Bahn. Aber auch Mitarbeiterinnen an den Kassen von Supermärkten werden von Kunden, denen irgendetwas nicht passt, einfach geschlagen. Und Beleidigungen werden meist schon gar nicht mehr gemeldet.

Alltag sei, schreibt Nikutta in ihrem Brief an die SPD-Delegierten, dass zum Beispiel ein Fahrgast eine Bierflasche über einer Fahrerin auskippe, nur weil diese nach dem Fahrschein gefragt habe. Jugendliche machten sich einen Spaß daraus, „Busfahrer zu klatschen“ und den Übergriff dann auch noch zu filmen und ins Internet zu stellen. Und einem Mitarbeiter, der in den Abendstunden an einer Bushaltestelle die Fahrpläne ausgetauscht habe, sei von einem Randalierer sogar ein Messer in die Brust gerammt worden.

Das Thema Gewalt im Nahverkehr begleite sie praktisch seit ihrem ersten Treffen mit Mitarbeitern auf dem Betriebshof, schreibt Nikutta weiter. Sie hat ihr Amt als Chefin am 1. Oktober angetreten – mit einem Besuch in den frühen Morgenstunden auf dem Betriebshof Lichtenberg, wo die Mitarbeiter ihre Sorgen schildern konnten.

In der Vergangenheit hatte man versucht, an einem Runden Tisch – auch mit Politikern – eine Lösung zu finden. Busfahrer werden inzwischen von einer nachträglich installierten Scheibe zumindest so geschützt, dass ein Angriff von hinten erschwert wird. Den Einbau von geschlossenen Kabinen hat die BVG abgelehnt, unterstützt von den meisten Fahrern. Die Attacken und Beleidigungen setzen sich aber fort.

Dies sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, schreibt Nikutta weiter. Es dürfe aber nicht normal werden, dass Fahrgäste oder Mitarbeiter beleidigt, bedroht oder angegriffen würden. Dies müsse gesellschaftlich geächtet werden – auch und gerade durch Politiker.

Verheerend sei dagegen die oft übliche Reaktion, dass man selbst doch auch unerfreuliche Erfahrungen mit unfreundlichen oder gar pampigen Mitarbeitern gemacht habe, ergänzte Reetz. Ein solches Verhalten gebe es auch, sei aber selten. Und keinesfalls rechtfertige es, Übergriffe zu verharmlosen.

Gefruchtet hat der Appell Nikuttas bisher nicht viel. Auch eine Woche nach dem Verteilen ihres Briefes gab es keine öffentliche Reaktion der Angesprochenen dazu. Klaus Kurpjuweit

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