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"Ecke Weserstraße"-Macher Johannes Hertwig und Hayung von Oepen bei Kaffee und Tee im "Tischendorf":

© Björn Kietzmann

Hipster in Berlin: TV-Seifenoper über Neukölln

Zwischen Party und Arbeit, wilder Jugend und Erwachsensein: Die Seifenoper „Ecke Weserstraße“ zeigt das Lebensgefühl eines Kiezes – und einer Generation.

Nichts ist so richtig fertig hier. Baustellen ziehen sich die Friedelstraße entlang, Neuköllner work in progress. Trotzdem ist es ruhig an diesem Mittag, der Trubel vom Markt am Maybachufer kommt hier nicht an. Gut für Johannes Hertwig: Auf seinem Rennrad mit abgefleddertem Sattel ist er von seiner Praktikumsstelle in einer Kreuzberger Werbeagentur gekommen, die seit Jahren als das neue Epizentrum der Hipsterbewegung gehandelt wird. Der 29-Jährige weiß um die Klischees – und hat sichtlichen Spaß daran, mit ihnen zu spielen. „Ich bestell mir jetzt aber keinen Latte Macchiato“ sagt er, als er sich mit seinem Freund und Kreativpartner Hayung von Oepen im "Tischendorf" niederlässt. Drinnen sitzen die Kreativen an ihren stickerbeklebten MacBooks. Schwarzer Kaffee heißt hier "Long Coffee", serviert im Tässchen mit Goldrand. Von Oepen bekommt seinen Tee im Kännchen und draußen – aber ohne Aufschlag.

Generation Grauzone

Neu oder retro, erwachsen oder noch jugendlich, Wohnzimmer oder Arbeitsraum – das alles weiß man in von Oepens und Hertwigs Generation nicht mehr so genau. Deshalb haben der Grafiker und der Literaturstudent eine Seifenoper zu genau diesem Lebensgefühl gedreht. "Ecke Weserstraße" heißt die Serie, die Pilotfolge hatte gerade Premiere bei "48 Stunden Neukölln" und läuft am Dienstag um 21.15 Uhr auf Alex TV. Die Protagonisten Tom, Emma und Vincent feiern und philosophieren sich die Straße mit den hippen Bars und Cafés entlang. Ursprünglich wohnten die beiden Macher gar nicht selbst im Kiez, erst zum Start der Dreharbeiten zog Hertwig nach Neukölln. In der neuen Wohnung fanden die letzten Proben statt – alles in der Freizeit. Das galt auch für die Schauspieler. "Es musste sehr familiär sein", sagt Hayung von Oepen. "Wir konnten ihnen kein Geld zahlen, aber was wir ihnen bieten können, ist die Beteiligung an dem Projekt."

Auch das zeichnet sie aus, die "Generation Weserstraße", wie Johannes Hertwig scherzhaft einwirft. "Es geht nicht mehr so sehr um Statussymbole und Luxus, sondern mehr um Selbstverwirklichung und Freiheit", sagt Hayung von Oepen. Oder vielleicht ist Freiheit der neue Luxus, die eigenen Projekte unter unsicheren Bedingungen umsetzen zu können, aber dafür das zu machen, was einem Spaß macht. Der Konkurrenzkampf der Kreativen geht aber auch an ihnen nicht vorbei: "Irgendwie hab ich mir das alles anders vorgestellt. Irgendwie besser", sagt Vincent (Maximilian Seidel) in der Serie, während er an der Bar auf seine Bierflasche starrt. Die "Twentysomethings", die von Oepen und Hertwig mit ihrer Serie repräsentieren wollen, sind zwar frei, aber gerade die Vielfalt der Möglichkeiten macht nicht immer glücklich. "Die Geschwindigkeit, in der Dinge hier passieren, fordert viel von einem und kostet Energie", sagt Hertwig.

Neukölln als Metapher

Denn obwohl die Soap ausdrücklich an der "Ecke Weserstraße" spielt, bestehen die beiden darauf, dass die Serie überall spielen könnte. "Hier in Neukölln ist das natürlich alles verdichtet", sagt Hertwig, die angesprochenen Themen finde man überall und die Geschichten in der Serie sind als Metapher für ein Lebensgefühl gedacht, das weit über den Kiez hinausgeht. Dennoch fokussieren sie auf die kleine Welt der "Vorzeigehipster". Die beiden hätten das eigentlich nur noch abfilmen müssen, flachst Hertwig. Ganz dicht am Leben im Kiez wollten sie bleiben, deshalb haben sie sich ein Thema ausgesucht, mit dem sie sich auskennen und junge Schauspieler ausgesucht, die selbst wissen, wie sich das Leben im kreativen Prekariat lebt. Johannes Hertwig nennt Klaus Lemke als Vorbild. "Wir hätten auch was zu sozialen Brennpunkten oder zur Flüchtlingsproblematik drehen können", sagt der 29-Jährige, der in der Nähe der Gerhart-Hauptmann- Schule in Kreuzberg wohnt, "aber das hätten wir gar nicht angemessen abbilden können."

Rebellion und Weltverbesserung sind nicht so sehr ihre Sache – außer man zählt die Rebellion im Kleinen dazu, etwa gegen hierarchische Strukturen am Arbeitsplatz und gegen feste Lebenspläne nach dem Modell Vater–Mutter–Kind–Eigenheim. Die tauschen viele ihrer Altersgenossen gegen die Selbstständigkeit und lockere Liebesbeziehungen ein. Die drei Freunde in der Serie sind damit mal mehr, mal weniger erfolgreich. Am Ende ziehen sie Arm in Arm die nächtliche Weserstraße hinab. Ein Sinnbild für ein neues Verständnis von sozialen Strukturen? "Freundschaft ist vielleicht eine neue Form von Familie", sagt Hertwig.

Die Option aufs Erwachsenwerden

Bei allem Hin- und Herpendeln "zwischen Adoleszenz und Erwachsensein", wie es auf ihrer Facebook-Seite heißt – werden die Ewigjungen vielleicht doch irgendwann erwachsen? Ganz ausschließen wollen die beiden das nicht. Vielleicht wird sogar das Viertel mit ihnen groß – aber bitte nicht zu sehr. "Neukölln wird irgendwann so aussehen wie Kreuzberg", scherzt Hayung von Oepen. "Nein, wie Charlottenburg", wirft Hertwig ein. "Nur mit einem etwas anderen Lebensentwurf", findet er, irgendwie lockerer.

Bis dahin wird weitergeplant und – gewerkelt: Sieben bis acht Folgen möchten sie drehen, dazu fehlt allerdings die Finanzierung. In der Freizeit geht es auf Dauer nicht, sagt von Oepen. "Es scheitert daran, dass wir auch überleben müssen."

Der Pilotfilm "Ecke Weserstraße", am heutigen Dienstag, 21.15 Uhr, auf Alex TV.

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