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Von diesem Haus aus organisierte SPD-Politiker Julius Leber den Kampf gegen die Nazis.

© Judith Fiebelkorn

Stadtumbau West: Historie unterm Bagger

Ein unscheinbares Haus ist zum großen Streitpunkt geworden: Schöneberger wollen eine alte Kohlenhandlung retten, die im Rahmen des Stadtumbaus West abgerissen werden soll. Doch damit würde ein Ort des Widerstands gegen die Nazis verschwinden.

Es ist ein unscheinbares Häuschen in der Torgauer Straße in Schöneberg. Bis vor kurzem gab es hier eine Autowerkstatt, doch die ist mittlerweile ausgezogen. Das Gebäude soll der „Schöneberger Schleife“ weichen, einer Grünfläche, die im Rahmen des Stadtumbaus West entsteht. Bis 2015 soll das Gelände, das sich vom Potsdamer Platz im Norden bis in den Schöneberger Süden entlang der Bahn erstreckt, fertiggestellt sein. Doch an der Torgauer Straße wird zunächst nicht weitergebaut, denn um das Haus ist Streit entbrannt.

Julius Leber, bis 1933 sozialdemokratischer Reichstagsabgeordneter, betrieb in dem Haus eine Kohlenhandlung. Im Hinterzimmer organisierte er den Widerstand gegen die Nationalsozialisten. Die späteren Hitlerattentäter um Graf Stauffenberg gingen ein und aus, auch christliche Widerständler, Kommunisten und Sozialdemokraten wie Leber selbst. Ein Ort also, wo der Widerstand gegen die Nazis über die Grenzen von Weltanschauungen hinweg organisiert wurde. Eigentlich wollte der Bezirk Tempelhof-Schöneberg anstelle des Hauses ein Gedenkzeichen errichten. Der Entwurf der Künstlerin, die sich im Wettbewerb durchsetzte, sieht vor, das Haus bis auf die Grundmauern abzutragen und auf einer Betonfläche an die Kohlenhandlung zu erinnern.

Doch gegen diese Pläne regte sich Protest von Anwohnern. Manuela Kergassner ist eine von ihnen und 1976 direkt um die Ecke geboren. Sie kennt die Geschichte der „Roten Insel“, diesem von Bahngleisen eingeschlossenen Kiez, in dem Bewohner gegen SA-Trupps kämpften und Marlene Dietrich lebte. Doch auf die Kohlenhandlung wurde die junge Frau erst vor kurzem aufmerksam. „Dass gleich nebenan der Widerstand organisiert wurde, das haben viele noch nicht mitbekommen, und gerade deshalb muss man das Haus erhalten.“

Durch Kontakt zu den Fraktionen von SPD und Grünen erwirkte die Anwohnerinitiative einen Beschluss der Bezirksverordnetenversammlung, das Haus zu erhalten und den Senat bei der Konzeptentwicklung und Finanzierung einer Gedenkstätte um Hilfe zu bitten. Das kostet Zeit, die der Bezirk nicht habe, sagt Baustadtrat Daniel Krüger (CDU). Die Planungen für den Grünzug sind seit Jahren abgeschlossen, die Gelder für die Parkbebauung von der EU seien nur bis 2014 abrufbar. „Wenn wir nicht im Frühjahr mit dem Bau beginnen, gehen etwa 400 000 Euro verloren. Dann werden wir prüfen, ob wir die Hauseigentümer über das Erschließungsbeitragsgesetz daran beteiligen können“, droht Krüger.

Auf Landesebene wird das Anliegen der Anwohner hingegen positiv bewertet. Der für Kunst am Bau zuständige Beratungsausschuss der Senatsverwaltung für Kultur empfahl, dass Bezirk und Senat gemeinsam nach Möglichkeiten einer Finanzierung eines Gedenkortes suchen sollten. Auch Rainer Klemke, langjähriger Gedenkstättenreferent des Senats, spricht sich für das Haus aus: „Ein Kunstwerk kann einen Gedenkort nicht ersetzen. Man muss mit dem Ort arbeiten, so dass sich Menschen mit ihm auseinandersetzen können.“ Auch das Argument, der Ort sei gar nicht mehr authentisch, lässt er nicht gelten: „Der arabische Automechaniker hat zwar den Kohlenhändler abgelöst, aber das ist auch ein Stück Berlingeschichte.“

Für die Anwohnerinitiative hat das Haus jedenfalls eine Bedeutung, die über den Stadtteil hinausweist: „Der Widerstand hat zwar hier in einer kleinen Baracke begonnen, doch Leber sollte deutscher Innenminister werden, wenn das Attentat auf Hitler gelungen wäre“, sagt Manuela Kergassner. Daher wollen sie und andere Mitstreiter heute für die Rettung der Kohlenhandlung demonstrieren – für einen Gedenkort, an dem sichtbar wird, dass Widerstand gegen die Nationalsozialisten möglich war.

Die Kundgebung beginnt um 17 Uhr auf der Julius-Leber-Brücke.

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