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Fundort eigener Geschichte. Die Familie von Bernhard Thevoz besaß in der ehemaligen Berliner Straße am heutigen Ernst-Reuter-Platz eine stattliche Villa.

© Kitty Kleist-Heinrich

Historische Gemälde vom Ernst-Reuter-Platz entdeckt: Der Rausch einer untergegangenen Zeit

Am Ernst-Reuter-Platz schlug mal Berlins Herz, zumindest wirtschaftlich. Hier lebte und feierte die jüdische Bankiersfamilie Warschauer. Jetzt entdeckte Gemälde des Historienmalers Rudolf Henneberg erzählen davon.

Jeden Nachmittag spielte, vor knapp hundert Jahren, im Weltkriegs-Lazarett der Warschauers die Kurkapelle. Eigentlich war die Villa am Knie,  dem heutigen Ernst-Reuter-Platz, das Domizil des reichsten Steuerzahlers von Charlottenburg, mit Haupthaus und Park, gedeckter Kegelbahn, Tennisplatz, Gewächshäusern, biedermeierlichem Gästehaus und Gartenhalle. Aber Robert Warschauer II, der Ex-Bankier, demonstrierte patriotische Gesinnung.

So wurden lädierte Frontkämpfer aus umliegenden Krankenstationen herangebracht oder kamen angehumpelt, manchmal waren es bis zu fünfhundert am Tag. Feine Damen servierten Kuchen und Brötchen. Henny Porten, der erste Kinostar, schritt für Filmaufnahmen und zur Erbauung der angeschlagenen Soldaten im lila Samtkleid dekorativ Terrassenstufen herunter. Massenhaft wirkte der ungewohnte Auftrieb, sodass eine Tante aus der Verwandtschaft, Fanny von Richthofen, ihrem Bruder, dem Hausherrn, mal vorbeigleitend aus der offenen Kutsche zurief: „Robi, wohnt ihr noch hier?“ Als dieser Bruder, Robert Warschauer II, bald darauf starb, musste seine Witwe die Lazarett-Kapelle bitten, wenigstens während der Beerdigung zu pausieren. Das war ein halbes Jahr vor Weltkriegsende.

Wie soll man sie sich an diesem Ort vorstellen, jene großbürgerliche Welt am Knie, von der Anekdoten berichten? Hier ist nach Zerstörung, Neubebauung, abweichender Straßenführung samt Ernst-Reuter-Kreisel die historische Topographie kaum noch auszumalen. Das Knie war der Berührungsknick zwischen der vom Zoo nordwestwärts führenden Hardenberg- und der Berliner Straße (Schlussstück der heutigen Straße des 17. Juni), die dann schräg auf das Schloss Charlottenburg zustieß.

So verwirrend erscheint die Orientierung zwischen damals und heute, dass in einem eben erschienenen Prachtband über das Werk des Martin Gropius Warschauers Villa, die der Architekt 1870 entworfen hatte, fälschlich am Westzipfel der Berliner Straße lokalisiert wird. In seinem Lob der Villa Warschauer („stilistisch abgeklärtes, großbürgerliches Domizil mit hohem baukünstlerischen Anspruch“) erwähnt der Autor Arnold Körte auch das Internet-Gerücht, es habe dort im Billardsaal Wand-Deko des Historienmalers Rudolf Henneberg gegeben, dessen beliebte „Jagd nach dem Glück“ Besuchern der Alten Nationalgalerie bekannt ist.

Während Körte mit seiner Verortung der Villa irrt, da diese tatsächlich am heutigen Gelände der Computerfirma Gravis (Anfang Otto-Suhr-Allee) lag, trifft das Gerücht von den Wandgemälden zu. In einem Haus in Grunewald, in das Warschauers 1922 umgezogen waren, sind drei dieser Bilder vor einiger Zeit von Bernhard Thevóz, einem Enkel des Robert II, zusammengerollt entdeckt worden. Es handelt sich um die letzte Auftragsarbeit des 1876 gestorbenen Henneberg: patriotische Szenarien unter Verwendung familiärer Physiognomien, im Entstehungsjahr 1872 beeinflusst vom Sieg über Frankreich und von der Reichsgründung im Vorjahr.

Ein ramponiertes Werk konnte restauriert werden.

Ort der Erinnerungen. In der Villa am Knie feierte sich einst Berlins Gesellschaftsspitze selbst.
Ort der Erinnerungen. In der Villa am Knie feierte sich einst Berlins Gesellschaftsspitze selbst.

© Kitty Kleist-Heinrich

Eins der ramponierten Werke, ein „Allegorischer Brautzug“, konnte mit Hilfe der Kulturstiftung der Länder und einer Henneberg’schen Familienstiftung restauriert werden und ist im Centrum Judaicum zu sehen. In den Gesichtern der Brautzug- Mädchen vor mittelalterlicher Kulisse erkenne man Warschauer-Ähnlichkeiten, sagt Thevóz. Und mit dem alten Mann auf Krücken am Bildrand sei womöglich ihr Urahn Moses Mendelssohn gemeint – im Ambiente seiner preußisch-christianisierten Nachkommen.

Begonnen hatte deren Aufstieg mit der Karriere des Breslauer Kaufmanns Marcus Warschauer (geb. 1777), der vom Angestellten und Schwiegersohn der Oppenheim-Bankiers in Königsberg zur Gesellschaftsspitze avancierte und seine Kinder taufen ließ; während er selbst im Judentum verblieb. Sohn Robert Warschauer I (geb. 1816) heiratete bei den Berliner Mendelssohn-Bankiers ein, begründete 1849 eine Filiale des Königsberger Institutes und trennte sich 1868 vom Mutterhaus, dessen Gewinne er turmhoch überflügelt hatte. Berlin mauserte sich zu Deutschlands Finanzplatz: Warschauer & Co. expandierten durch Kredite für die Industrialisierung, Eisenbahnbau und Staatsanleihen, besonders in Russland.

Dass sich trotzdem überraschenderweise der seit 1882 fungierende Chef des Unternehmens, Robert Warschauer II, im Jahr 1898 samt seinen Einlagen aus der lukrativen Companie zurückzog, versucht eine gerade vom Commerzbank-Archiv publizierte Untersuchung zu erklären: Die Wirtschaftshistorikerin Laura Hess meint, das Geldinstitut habe mehr Kapital gebraucht, das bestehende Netzwerk der Bankiers jüdischen Glaubens funktionierte aber nicht mehr so gut. Warschauer & Co. fielen als erste namhafte Privatbank dem Konzentrationsprozess der Branche zum Opfer. Und Robert II engagierte sich fortan als Privatier für Wohltätigkeiten.

Heute setzt sein Enkel, Jahrgang 1952, am Ort der verschwundenen Villa das Erinnerungspuzzle zusammen. Im Januar 1914 war hier das Hochzeitsfest einer Warschauer-Tochter, die später mit ihrem Mann im Flugzeug abstürzen sollte, noch rauschend gefeiert worden. Von seinem damals verstorbenen Urgroßvater Robert I erzählt Thevóz, der habe seinerzeit ein Fries des Bildhauers Rudolf Siemering finanziert, das bei der Siegesparty 1871 am Stadtschloss die temporäre Germaniastatue zierte; später sei das Relief an Warschauers Gartenhalle eingebaut worden.

An wen zur Krisenzeit um 1922 die gesamte, im Unterhalt zu teure Immobilie dann verkauft worden ist, weiß der Nachkomme nicht. Nach 1933 übernahm sie der Reichsarbeitsdienst (RAD); Fotos von 1939 zeigen Gartenhalle samt Siemering-Fries unter Dornröschen-Gestrüpp. Wegen der RAD-Nutzung nahmen Alliierte die Berliner Straße 31 / 32 als militärisches Ziel ins Visier. Bei einem Besuch des bombardierten Geländes 1942 sei von dem riesigen Fries „nur ein Pferdehuf übrig gewesen“, zitiert Thevóz seinen Vater. 1945 konnte man dann über Trümmerfelder, vom Knie bis zum Ku’damm, vom einstigen Warschauer-Anwesen bis zum Haus Cumberland blicken.

Als einziges Relikt der Villa vom Knie sind nun Rudolf Hennebergs aufgetauchte Bilder, die auch ein Kriegerquartett bandagierter, aus dem Feldzug heimkehrender Verwandter zeigen, wieder anschaubar. Warschauers und ihre Verwandten überlebten das „Dritte Reich“ nur unter traumatisierendem Verfolgungsdruck: Heute, aus dem Blickwinkel Nachgeborener, wirkt die gemalte Botschaft bizarr. Deutschtümelnder Siegesrausch, kombiniert mit dem Wunsch der Aufgestiegenen, ganz dazuzugehören. Berliner Integrationsfantasien: anno dazumal.

Arnold Körte: Martin Gropius. Leben und Werk eines Berliner Architekten 1824 - 1880. Berlin 2013. 833 Abb., 590 S., 70 €.

Laura Herr: Das Bankhaus Robert Warschauer & Co. Commerzbank-Archiv. 143 S.

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