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Jan Stöß.

© Doris Spiekermann-Klaas

Historische Mitte Berlin: Mit Jan Stöß geht auch ein Visionär des historischen Zentrums

Der Abgang von Jan Stöß hinterlässt auch eine Leere in der Debatte um das alte Stadtzentrum. Der wichtige Streitpunkt – Bebauen oder nicht? – bleibt auch nach dem Dialog mit den Bürgern ungelöst.

Diesen Gefallen wollte er dem Fotografen beim gemeinsamen Rundgang durch Berlins brach liegende alte Mitte dann doch nicht tun: Dass er am Tor zum Roten Rathaus rüttelnd posiert wie weiland Gerhard Schröder am Kanzleramt und ausruft: „Ich will da rein“. Klare Worte fand Jan Stöß aber dafür, dass Berlin ihre großen städtebaulichen Brachen, ihre unvollendeten Orte nicht einfach liegen lassen könne – die alte Mitte allen voraus.

Das war vor zwei Jahren und Jan Stöß, Noch-Chef der SPD, hatte sich in diese Funktion gerade hineinkatapultiert. Nun steht er vor dem Abschied und es droht im politischen Diskurs eine dem Stadtbild ähnliche Leere in der Frage, wie es mit Berlin und seiner alten Mitte weitergeht. Da ruft sogar CDU-Fraktionsvize Stefan Evers dem scheidenden Vorsitzenden der Sozialdemokraten hinterher: „Der Debatte zur Historischen Mitte geht eine starke Stimme verloren.“ Er werde Stöß vermissen, denn nun stehe die SPD „völlig kopflos da in dieser Frage“.

Stöß hatte sich im Tagesspiegel für eine Bebauung der alten Mitte ausgesprochen und lag damit näher bei der CDU als bei manchen SPD–Mitgliedern und allemal der SPD-geführten Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Diese hat vor wenigen Tagen ihre „Leitlinien“ über den Umgang zur alten Mitte in die Fächer der Abgeordneten gelegt. Es sind die Ergebnisse der Bürgerbeteiligung im vergangenen Jahr und das Parlament soll daraus die Konsequenzen ziehen. Der wichtige Streitpunkt – Bebauen oder nicht? – bleibt auch nach dem Dialog mit den Bürgern ungelöst: Umstritten sei dies, eine Mehrheit sei gegen Neubauten, heißt es in den Leitlinien nur.

Vorschläge des Senats bleiben vage

Unverbrüchlich ist das nicht, anders als die eigentlichen Leitlinien: Eine Privatisierung der Grundstücke in der alten Mitte will niemand, die Grünflächen sollen erhalten bleiben und Zugänge zum Wasser entstehen. Außerdem sollen keine neuen Gebäude in die Sichtachse zwischen Fernsehturm um Schloss gestellt werden. Kurzum, die historische Mitte, wie sie einmal war, wird nicht wieder sein – egal wie es kommt.

Das dürfte der gemeinsame Nenner sein, auf den sich die Koalition einigen könnte. Aber in dem Vertrag, der SPD und CDU für diese Legislatur aneinander bindet, steht ja außerdem noch eine Debatte und eine Verabschiedung der Leitlinien zur Alten Mitte sowie ein städtebaulicher Wettbewerb für das Areal. Der ganze Wucht von Visionen eines Wettbewerbs mag sich die Koalition nicht aussetzen – sie will diesen vielmehr durch eine „Programmierung“ in Bahnen lenken.

Nur welche? Die Vorschläge des Senats dazu bleiben vage. Von einer „fachlichen Vertiefung“ ist die Rede und zwar zu drei Themen: Wie der Verkehr in Mitte organisiert werden sollte, welche „stadtklimatische Bedeutung“ die Mitte für die Stadt hat und auch zur „Geschichte der Berliner Mitte“ sollen Fachleuten arbeiten.

Von „Zensur“ spricht Benedikt Goebel

Eine historische Bebauung gerät damit aus dem Blick. Dazu passt, dass die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sogar den Beteiligten an der Ausstellung zur Mitte im Parlament ein Bilderverbot erteilten: Fertig gestellte Tafeln mit einer rekonstruierten alten Mitte durfte das Bürgerforum nicht aufstellen. Von „Zensur“ spricht Benedikt Goebel, der im „Kuratorium“ des Bürgerdialogs sitzt.

Goebel zählt aber ebenso wie Stefan Richter von der Stiftung Zukunft zu einer Gruppe von fünf Kuratoriumsmitgliedern, die die Prozessempfehlung des Senats nicht mittragen. Ausgerechnet die Stiftung Zukunft: Diese war vom früheren Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) gegründet worden, dessen öffentlicher Debattenkreis „Stadtforum“ bis heute als Garant dafür gilt, dass der Bauboom in den 1990er Jahren eben ohne jene Zerreißproben verlief, die heute die Bürgerschaft spalten.

Unschuldig ist die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung daran nicht. Während diese unter dem damaligen Senator Michael Müller eine Bebauung der Mitte noch als nachgeordnete, spätere Aufgabe bezeichnet hatte, brachte dessen Nachfolger Andreas Geisel eine zeitnahe Entscheidung in dieser Frage bereits Anfang des Jahres ins Gespräch. Bei der Eröffnung der Ausstellung zur historischen Mitte im Abgeordnetenhaus schlug nun Senatsbaudirektorin Regula Lüscher das Marx-Engels-Forum als Standort für die Zental- und Landesbibliothek vor – eine Prüfung des Standorts laufe bereits.

Neubauten keine Lösung

Nun also doch einen Solitär bauen, ohne Rücksicht auf historische Stadtgrundrisse – und so die Fehler des Städtebaus der Moderne wiederholen? Vereinbar ist das nicht mit den Leitlinien des Bürgerdialogs und deren Fürsprecher von der „Initiative Offene Mitte Berlin“ um Ex-Senatorin Carola Bluhm (Linke), für die Neubauten keine Lösung sind – und die am Marx-Engels-Forum eher noch einen „Philosophen-Hain“ sähe, so wie die Stiftung Zukunft es vorschlägt.

Letztlich dürfte diese Schlacht aber ohnehin politisch entschieden werden und das Volk allenfalls mit einem Entscheid noch einmal gegen Pläne für einen ZLB-Neubau hineingrätschen. Wobei auch die CDU noch mitreden wird. Diese würde sich bei der politischen Entscheidung über die Zukunft der Alten Mitte gern vom Rat eines „Berlin-Forums“ leiten lassen, ganz in der Tradition des einst von Hassemer ins Leben gerufenen Stadtforums – transparenter wäre ein solches Verfahren allemal.

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