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Berlin: Höher als das Schloss – das Rathaus

Vor 100 Jahren wurde das prunkvolle Gebäude in Charlottenburg eingeweiht

Charlottenburg war vor hundert Jahren die wohlhabendste Stadt in Preußen. Weil in den Mauern der damals noch selbstständigen Kommune vor den Toren Berlins besonders viele reiche Leute wohnten, lag sie mit einem durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen von 4000 Mark im Jahr über anderen deutschen Städten – kein Wunder also, dass sich die Charlottenburger ein besonders prächtiges und auffälliges Rathaus leisteten.

Morgen vor einhundert Jahren, am 20. Mai 1905, eingeweiht, strahlte es mit seinem riesigen Turm bürgerliches Selbstbewusstsein gegenüber der in großen Teilen eher ärmlichen Haupt- und Residenzstadt Berlin aus. Das soll Kaiser Wilhelm II., der dort residierte, überhaupt nicht gefallen haben. Angeblich ärgerte er sich über den riesigen Rathausturm, der mit 88 Metern viel höher als der Kuppelturm seines Schlosses Charlottenburg ein paar Kilometer weiter war. Es wird erzählt, dass der über eine solche architektonische Provokation wenig amüsierte Monarch einen großen Bogen um das Charlottenburger Rathaus machte, wenn er sich von Berlin in das Schloss seiner Vorfahren begab.

Die Architekten Heinrich Reinhardt und Georg Süßenguth, die mit ihrem Entwurf den künstlerischen Wettbewerb gewonnen hatten, lieferten mit dem Rathaus ein markantes Beispiel für den Sieg des Jugendstils kurz nach der Jahrhundertwende. Ursprünglich hatte man an eine neogotische Fassade der üblichen Art gedacht. Dann aber setzte sich der Magistrat mit seiner Forderung durch, den damals noch recht umstrittenen, aber ganz modernen Sezessionsstil, wie man den Jugendstil auch nannte, anzuwenden. So überziehen die (für diese Kunstrichtung typischen) floralen Ornamente üppig und verwirrend zugleich die Sandsteinfassade des mit fast 4,2 Millionen Goldmark damals sehr teuren Prachtbaues, der sich mit einer Länge von 70 Metern an der heutigen Otto-Suhr-Allee erstreckt. Dazu kommen verschiedene Wappenschilder sowie vollplastische Figuren der Gerechtigkeit und Weisheit, auch Bildnisse verschiedener Berufsgruppen und Stände. Nicht zu übersehen sind die Köpfe mit milde bis grimmig dreinblickenden Gesichtern, die die Schlusssteine über den Fenstern bilden.

Im Zweiten Weltkrieg wurde das Rathaus stark beschädigt, blieb aber im Wesentlichen stehen. Beim Wiederaufbau hat man die wertvolle Fassade restauriert – was in der Nachkriegszeit keine Selbstverständlichkeit war. Denn anderenorts wurden Fassaden von Ornamenten „befreit", weil sie angeblich nicht mehr dem Zeitgeschmack entsprachen.

Von der ehemals reichen Innenausstattung ging im Krieg viel verloren. Sie prunkte durch üppigen Stuck sowie Wand- und Deckengemälde, Figuren und geschnitzte Holzvertäfelungen; wirkte ein wenig protzig, als wolle die erst 200 Jahre alte Stadt auch auf diese Weise ihren Reichtum zur Schau stellen. Was davon noch erhalten ist, lohnt einen Besuch im Rathaus.

Leider hat das Bezirksamt Charlottenburg-Wilmersdorf keine gesonderte Ausstellung zur Hundertjahrfeier des Rathauses vorgesehen. Hingegen würdigt das Heimatmuseum den Bau im Rahmen seiner Ausstellung „300 Jahre Charlottenburg“, die am 24. Mai in der Schloßstraße 69 eröffnet wird und bis Jahresende läuft.

Helmut Caspar

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