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Hohenschönhausen: In der Retortensiedlung ist der Sport zu Hause

Nicht jedem fällt es leicht, sich mit einer aus Betonnormteilen geformten Wohnung anzufreunden. Doch die Platte ist nicht alles, das gilt auch für Hohenschönhausen.

ZEITREISE

Die Ostsee fällt einem nicht spontan ein, wenn man in den Betongebirgen um die Zingster Straße steht. Aber das Viertel, zu dem Erich Honecker am 2. Februar 1984 in der nahen Barther Straße den Grundstein legte, erhielt seine Straßennamen nun mal nach Orten um Rostock. 1989, als das obere Foto entstand, boten die Grünanlagen anders als heute noch keinen Schatten, dafür florierte aber die Ladenzeile rechts im Bild, die sich heute gegen die Konkurrenz des benachbarten Linden-Centers am Prerower Platz mit über 80 Shops, Restaurants, Cafés und einem Warenhaus nur mühsam behaupten kann. So hat in den letzten Wochen auch der Asia-Multi-Markt, der in dem ehemaligen Eisenwarengeschäft untergekommen war, die Preise kräftig heruntergesetzt: Ausverkauf wegen Geschäftsaufgabe. Auch der die Ladenzeile überragende Plattenbau hat vom Glanz der neuen Zeit nicht viel mitbekommen: Die Fassade sieht, anders als bei den renovierten Hochhäusern links, noch authentisch aus, was im Viertel nicht die Regel ist. Das Linden- Center ist dort nicht der einzige Großneubau: Gleich daneben gibt es ein Cinemaxx-Großkino.

GOLD AN DER WAND

Nicht jedem fällt es leicht, sich mit einer aus Betonnormteilen geformten Wohnung anzufreunden. Eine vom Staat verliehene Plakette hilft vielleicht: die Goldene Hausnummer. Die gab es in der DDR für Hausgemeinschaften, die sich in Wettbewerben um Pflege und Verschönerung ihres Wohnumfelds verdient gemacht hatten. Gerade in Neubaugebieten wie Hohenschönhausen war das eine begehrte Auszeichnung, obwohl deren Verbreitung den Prestigewert relativierte.

JUNGE WELT

Retortengeburten von Stadtteilen spiegeln sich auch in Bewohnerzahl und Altersdurchschnitt. Lebten Mitte der achtziger Jahre knapp 70 000 Einwohner in Hohenschönhausen, so waren es 1991 schon mehr als 119 000 Menschen. 30,6 Prozent waren jünger als 18 Jahre – nur 8,1 Prozent älter als 60 Jahre. Ende 2004 lag die Einwohnerzahl bei 102 313. Die letzte Erhebung des Statistischen Landesamtes von Juni 2007 belegt weiteren Schwund: 19 200 Menschen haben den ehemaligen Bezirk verlassen, unter 18-Jährige machen noch 14 Prozent aus, Menschen über 60 dagegen 20,4 Prozent.

SEHENSWERTES

Die Platte ist nicht alles, das gilt auch für Hohenschönhausen. Architektonische Gegengewichte sind der alte Dorfkern oder das von der Stasi als Wäscherei und Kantine missbrauchte Mies-van-der-RoheHaus am Orankesee, das nach der Sanierung zum Museum für den Baukünstler wurde. Es gibt zudem alte, hübsch durchsanierte Viertel wie die Siedlung Malchower Weg aus den zwanziger Jahren. Und nicht nur Tierfreunde begeistern sich für das 2002 eröffnete Tierheim, in dem sogar Szenen für die futuristische Hollywoodproduktion „Aeon Flux“ gedreht wurden.

SPORTLICHES

Nach dem Olympiapark in Charlottenburg (130 Hektar) ist das Sportforum Hohenschönhausen (50 Hektar) das zweitgrößte Sportgelände der Stadt – und eines der größten Europas. Dort sind der größte deutsche Olympiastützpunkt stationiert, diverse Bundesstützpunkte, die Sportschule „Werner Seelenbinder“ sowie das Institut für Sportwissenschaften der Humboldt-Universität. Zudem feierte im legendär-maroden Wellblechpalast der Eishockeyclub Eisbären 2005 und 2006 den Meistertitel.

LITERATUR

Gewiss, man kann durch diesen Stadtteil auch prima promenieren. Zumal, wenn der Blick vornehmlich weit in die Geschichte gerichtet ist wie in „Spaziergänge in Hohenschönhausen“ von Walter Püschel (Haude & Spener). Fünf Routen durch den Altbezirk schlägt der Autor vor. Da sein Werk schon 1995 erschien, bleiben neueste Entwicklungen und Sehenswürdigkeiten unberücksichtigt. Erfreulich, dass das Büchlein, obwohl es in einer Reihe mit dem betulichen Titel „Berlinische Reminiszenzen“ erschienen ist, der wohl dunkelsten Seite des Stadtteils recht viel Aufmerksamkeit schenkt: dem Stasigefängnis Berlin-Hohenschönhausen, dem größten der DDR. Es ist das Hauptthema der Bücher zu Hohenschönhausen,eben hat wieder der Leiter der heutigen Gedenkstätte, Hubertus Knabe, eines herausgegeben: „Gefangen in Hohenschönhausen. Stasi-Häftlinge berichten“ (List). Beim Jaron-Verlag gibt es eine dreiteilige Reihe „Inhaftiert in Berlin- Hohenschönhausen“. ac/AG

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