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Berlin: Holger Rybka (Geb. 1958)

Von 14 bis 22 Uhr im Statthaus. Danach in den Kneipen rundum.

Das vorweg: Wer mehr über ihn hören will – Youtube, Stichworte „Dema“ und „Trauer“.

Tja, und sonst? Herr Holger, was war das für ein Mensch? So genau weiß das eigentlich keiner. Wo er herkam? Aus Wuppertal. Und viel mehr wollte er darüber auch nicht sagen, und über seine Familie schon gar nicht.

Er strandete in Berlin, in Kreuzberg, und war sofort Hertha-Fan, forever.

Einer der stets ’ne Kappe trug, tagaus, tagein. Ein Sichtschutz, Tarnkappe der Seele, was auch immer, er setzte sie jedenfalls nie ab.

Ein Schlaks war er, mit Rauschebart und langen Haaren. In Kreuzberg und Neukölln kannte ihn fast jeder, und keiner kannte ihn so richtig gut. Das ist vielleicht der Fluch derer, die gerne helfen. Und Holger Rybka half, wo immer er konnte. Ohne ihn wird das Statthaus Böcklerpark nicht mehr das sein, was es über zwanzig Jahre lang war, ein Zuhause für alle. Arabische, türkische, deutsche Jugendliche, die sich sonst nur mit dem Messer begegnet wären, hielten mal für einen Moment die große Klappe, wenn Holger dabei war. Warum? Weil er jedem gegenüber Respekt zeigte. Und Respekt einforderte.

Er konnte gut mit jedem. Und vor allem, er konnte zuhören. Sagen, was Sache ist, auch Grenzen ziehen. Sagen, wann Schicht ist im Schacht.

Er hatte selbst eine Kindheit, die nicht ohne war, und wusste, wie den Kids im Kiez zumute war. Wenn er Aktionen machte, Feste feierte, Fußballturniere organisierte, dann war das immer Spaß. Spaß, der seine Regeln hatte.

Es liefen keine Geschichten, die er nicht mitbekommen hätte. Und vielen Geschichten schrieb er das Happy End, weil er sich auf die korrekte Art einmischte.

„Mach du das mal nich’ so, wie du das willst, das führt zu nichts!“ Viel mehr war nicht nötig an Überzeugungsarbeit. Und körperlich konnte er ja nicht groß intervenieren. Aber mit Worten war er gut. „Schluss ist Schluss. Punkt.“

Von 14 bis 22 Uhr war er im Statthaus, in der Regel. Danach in den Kneipen rundum, bevorzugt im Nova, das er zum Wohnzimmer der ganzen Nachbarschaft machte.

Er war mal verheiratet, aber das ging nicht lange gut. Was blieb, war seine Tochter, auf die er stolz war, auch wenn er seine Liebe nicht immer ganz so zeigen konnte, wie er es gewollt hat.

Was er sonst alles nicht konnte? Straßenkarten lesen, ohne dass man sich verfuhr. Karussell fahren, ohne dass ihm schlecht wurde. Sich aus dem Leben anderer heraushalten.

Was er gut konnte? Die Kneipenkünste: Skat, Dart, Billard, Boule. Boule vor allem. Da hatte er seinen Spaß, aber auch da hatte der Spaß seine Grenzen, wenn es ans Gewinnen ging.

Ansonsten war da nicht so viel Zeit für anderes. Für eine neue Liebe schon gar nicht. An zwei Händen war abzuzählen, wie oft er im Urlaub war; die Kreuzberger Grenzen hat er so gut wie nie hinter sich gelassen, aber Genaueres weiß man nicht, nur das ist sicher: Er war niemals in Marzahn.

Auf die sonstigen bürgerlichen Vergnügungen legte er ohnehin nicht so viel Wert. Das bisschen, was er gegessen hat, hat er getrunken. Er wohnte in einer kleinen WG, aber da empfing er nie Besuch, da ging er nur zum Schlafen hin, alles andere spielte sich in der Öffentlichkeit ab.

Er war immer da für die anderen, und verlor sich selbst ein wenig aus dem Blick. Da war er sich schon drüber klar. Und damit da nicht allzu viel verloren ging, hat er immer kleine Zettel beschrieben, mit dem, was wichtig war. Auf einem der letzten steht: „Hallo Krankheit!“

Eine akute beidseitige Lungenentzündung. Er wäre nicht ins Krankenhaus gegangen, wenn er gewusst hätte, wie ernst es ist. „Feiern wir die nächsten Tage, und dann is’ gut.“ Aber er ist viel zu spät gegangen. Vielleicht fehlte ihm zum Schluss auch die Kraft dafür, oder die Aufmerksamkeit für sich selbst, sonst wäre er nicht einfach so gestorben, viel zu früh.

Wo Holger jetzt ist? Im Himmel, wo sonst? Sonst wäre doch Hertha nicht auf Platz eins. Gregor Eisenhauer

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