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Künstler Gunter Demnig verlegt Gedenksteine auf einem Berliner Gehweg.

© Paul Zinken

Holocaust-Erinnerung: Neue Gedenksteine gefallen nicht jedem

In der Karl-Marx-Straße hat der Künstler Gunter Demnig auffällige Pflastersteine an ausgewählten Orten verlegt. Die Stolpersteine sollen an die Opfer des Holocaust erinnern. Doch mancher Anwohner will davon nichts wissen.

„Darf man ja nicht vergessen“, sagt Liman Karagün, der Juwelier vom „Goldparadies“ an der Karl-Marx-Straße. Nicht vergessen, dass hier in seinem Haus mal Sofie Potzernheim gewohnt hat, bis sie von den Nazis deportiert und ermordet wurde. Seit einer Stunde erinnert ein Pflasterstein, glänzend wie Gold, an das Verbrechen. Die Opfer des Holocaust zu würdigen, gehört zu Deutschland, findet Karagun. Er hat damit kein Problem. Aber er sagt auch: „Die meisten hier finden das wohl nicht so gut.“

42 Stolpersteine hat der Künstler Gunter Demnig in wenigen Stunden über die Trottoirs der Karl-Marx-Straße verteilt. Vor dem Haus Nummer 55 liegen allein acht. In der Regel sind es jüdische Opfer, die auf diese Weise geehrt werden. Darunter das Mädchen Edith, das 1943 mit fünf Jahren nach Auschwitz deportiert wurde.

Heute wohnen und arbeiten in der Karl-Marx-Straße Türken, Araber, Palästinenser, Deutsche und viele Osteuropäer. Vor allem in der arabischstämmigen Bevölkerung ist Antisemitismus weit verbreitet. Juden werden wegen des Konfliktes zwischen Israel und Palästina pauschal abgelehnt. Auf Schulhöfen im Kiez gilt „Jude“ als Schimpfwort.

Sind die Stolpersteine also eine Provokation? Kalender Turkut, vor 14 Jahren aus der Türkei nach Deutschland gekommen, betreibt mit seiner Frau einen Verkaufsstand, an dessen Zugang jetzt ein Stolperstein ruht. „Ist ganz gut“, sagt er, die Hände in den Manteltaschen vergraben. „Mensch ist Mensch. Jeder hat ein Lebensrecht.“ Mit Juden hat er schon mal als Seemann auf einem Schiff zusammengearbeitet. „Das war nicht feindlich.“

Die Historikerin Jutta Plewe begleitet Gunter Demnig beim Verlegen der Steine. Sie hatte alle Ladenbesitzer vorab aufgeklärt und keiner habe ablehnend reagiert. „Das war ganz wunderbar.“ Nur zwei Deutsche hätten gemosert: „Irgendwann muss doch mal Schluss sein.“ Für den Ernstfall ist die Polizei vor Ort.

Den letzten Stein vergräbt Demnig vor dem Elektrogeräteladen von Ahmed Chalabi und Detlev Falkenhain. Beide loben die Aktion. „Die Toleranz ist hier größer als woanders“, sagt Falkenhain. Chalabi, der vor 40 Jahren aus Syrien kam, nickt. Im Körnerpark, seinem Wohnkiez, gebe es auch schon Stolpersteine. Sein Nachbar Alejandro mischt sich ins Gespräch ein, redet von den Roma und Sinti, die ja auch ermordet wurden, kommt auf den Irak-Krieg und dessen verschiedene Opfer zu sprechen, streift die aktuelle Integrationsdebatte und erzählt ganz beiläufig, dass er auch jüdische Wurzeln hat und seine Eltern einst vor den Nazis nach Bolivien flüchteten, wo sie sich ohne staatliche Hilfen integrieren mussten. In den 50er Jahren ging Alejandro ins Land seiner Eltern, wurde Monteur bei Vattenfall und behielt seine jüdische Herkunft für sich. Trotzdem bekam er viele böse Anrufe, deshalb soll sein deutsch-jüdischer Nachname nicht in der Zeitung stehen. Seinem Nachbarn, Ahmed Chalabi, hat er seine Lebensgeschichte bisher verschwiegen. „Der ist doch Araber.“ Und die seien bekanntlich Feinde der Juden.

118 Stolpersteine gibt es bislang in Neukölln. Mehr als 3300 in ganz Berlin. Schmierereien gab es bisher vor allem in Lichtenberg. In der Karl-Marx-Straße laufen fast alle Passanten achtlos drüberweg. Die Stolpersteine gehören zwar zu Deutschland, aber viele in Nord-Neukölln fühlen sich von diesem Teil deutscher Geschichte nicht berührt.

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