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Berlin: Horst Falkner

Wer nix wird, wird Wirt? Von wegen. Der hier war schon was.

Von David Ensikat

Beginnen wir mit der Urgroßmutter, die war Kaltmamsell. Bis zum Jahr 1913, da wurde sie Wirtin. „Vahlensteins Destille“ hieß ihre Schankstube in Prenzlauer Berg, Metzer Straße, Ecke Straßburger, 100 Meter bis zum Wasserturm. 1951 übernahm ihre Tochter, Horst Falkners Großmutter, das Geschäft. Die hatte zuvor einen Lehrgang für Hausmädchen und Sekretärinnen absolviert. Horst Falkners Mutter hatte Schneiderin gelernt, bevor sie 1968 die Kneipe übernahm.

Kaiserreich, Republik, Hitler-Deutschland, DDR – Bier wurde immer getrunken, und die Frauen organisierten den Bierausschank auf angenehme und auch profitable Weise. Warum sollte sich daran etwas ändern? Horst Falkners Schwester, gelernte Kellnerin, sollte in die Chefinnenfolge eintreten. Aber sie ging in den Westen. Horst Falkner leistete gerade seinen Wehrdienst und bekam jetzt einen Brief: Ob er nicht Lust hätte, nach der Armee im Lokal auszuhelfen. Später könne er es ja mal übernehmen.

Das Lokal hieß inzwischen „Metzer Eck“, Horst war in der Wohnung direkt darüber aufgewachsen. Als er seine Freundin Sylvia kennenlernte, erzählte er ihr erst mal nicht, dass er Kneipierssohn war. Das war sowieso egal, er war ja Autoschlosser. Als Autoschlosser wollte er auch nach der Armee weiterarbeiten, eigentlich.

Nun also Mutters Lokal – warum nicht? Horst Falkner war kein Grübler und kein Zweifler. Im Armee-Urlaub fragte er seine Freundin Sylvia, was die von der Sache hielt. Sie hatte keine Einwände.

Also: Wer nix wird, wird Wirt – die Weisheit galt in Horst Falkners Fall nicht, er war schon was. Außerdem musste selbst der Wirtssohn auf seinem Weg zum Wirt mit dem Kücheputzen und Kartoffelschälen beginnen und dann noch einen Kellnerlehrgang an der Gastronomenfachschule absolvieren. Ordentliche Zeiten waren das.

Die Freundin Sylvia übrigens hatte er so kennengelernt: Mit einem Freund stand er in der Disko, und irgendwo in einer anderen Ecke stand sie, blond, schön, unerreichbar. „Wetten, die kriegste nicht“, sagte der Freund. Darauf er: „Was krieg’ ich denn, wenn ich sie kriege?“ – „20 Mark.“

Nun sah auch er sehr gut aus, groß und sportlich, mit markantem, breitem Mund, der meistens lächelte. Erstaunlich immerhin, dass er, wie Sylvia erzählt, recht zimperlich zur Sache ging. Bis zum ersten Kuss hat sie ein paar Wochen warten müssen.

Weil die Liebe die Armeezeit überstand, war klar, sie würde auch noch länger halten. Logisch, dass Sylvia bald auch im „Metzer Eck“ anfing. Ein Familienbetrieb eben.

Und damit eine große Ausnahme in der Umgebung. Unzählige Kneipen gibt es inzwischen dort, andauernd machen welche zu und doppelt so viele auf. Nur im „Metzer Eck“ bleibt alles, wie es war, darauf hat Horst Falkner sehr geachtet. Am flexibelsten war vielleicht der Bierpreis: 56 Ostpfennige – 1,50 DM – 1,80 Euro. Seit einem Jahr gibt es, „Neu im Angebot!“, auch Milchkaffee. Die Wände sind holzgetäfelt, an den Fenstern hängen Gardinen – als die alten durch perfekte Kopien aus Thailand ersetzt worden waren, fiel das gleich einem Gast auf: „Sacht ma, habt ihr die Jahdin’ jewaschen?“

Horst Falkner führte ein geregeltes Wirtsleben: Zwei Tage Küche, zwei Tage Tresen, drei Tage frei. Alkohol nur bei der Arbeit und beim Feiern – er konnte gut feiern! Zwei Mal in der Woche Sportstudio – von Statur war er überhaupt kein Wirt! Jedes Jahr drei Wochen Urlaub mit Sylvia und eine mit den Angelfreunden.

Im letzten Jahr sollten es zwei Angelwochen sein, Norwegen. Horst Falkner konnte nicht mitfahren, er wurde operiert. Ein halbes Jahr hat der Krebs gebraucht, um dieses Leben zu beenden.

Es war ein gutes Leben. Als hätte es eines Beweises dafür bedurft, kamen 300 Leute zur Beerdigung des Wirts vom Metzer Eck.

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