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Das Ensemble der Hufeisensiedlung gehört zum Weltkulturerbe.

© dpa

Hufeisensiedlung in Britz: Von Nazis vertriebene Freundinnen treffen sich nach 70 Jahren wieder

Zwei Frauen, die von den Nationalsozialisten aus den Britzer Taut-Häusern verjagt wurden, sehen sich nach 70 Jahren wieder – anlässlich einer neuen Ausstellung.

Ein denkwürdiger Freitag wird das für die beiden Frauen, wenn diese Woche im Museum Neukölln die neue Ausstellung über die Bewohner der Großsiedlung Britz während der NS-Zeit eröffnet. Hannah Shaw-Ridler und Elisabeth Rosenthal, die zur Eröffnung aus England anreisen, spielten einst als Kinder miteinander in Britz, bis die Vertreibung ihrer Familien 1939 die Freundschaft abrupt unterbrach. Nun sehen sich die Berliner Gören von einst zum ersten Mal nach über 70 Jahren wieder.

Beide Frauen, die in England nur eine Autostunde voneinander entfernt wohnen, wurden für die Ausstellung über ihren Lebensweg befragt, so kamen sie in Kontakt. An die fünf Jahre ältere Elisabeth, genannt „Betzi“, kann sich die 1932 im Britzer Krankenhaus geborene Hannah Shaw-Ridler, die damals Schmeltzer hieß, nicht mehr recht erinnern. Doch ihr fiel ein, dass sie all die Jahre Bücher von Betzi im Haus hatte, entliehen noch in Berlin. Doch vor zwei Jahren räumte Hannah auf – und gab die Bücher weg.

Blick in das „Hufeisen“, um 1928.
Blick in das „Hufeisen“, um 1928.

© Otto Hagemann / Museum Neukölln

Differenzierter Blick auf die Bewohnerschaft der Hufeisensiedlung in Britz

Ihnen und anderen jüdischen Bewohnern hat das Leben im Hufeisen kein Glück gebracht. Wie andernorts wurden jüdischstämmige Bewohner in der Siedlung ab 1933 drangsaliert. Glücklicherweise konnten viele rechtzeitig das Land verlassen. Erst wenige Jahre zuvor waren Arbeiter und Intellektuelle mit hohen Idealen in die Siedlung gezogen. Nicht nur bezahlbar, hell und modern sollten die Wohnungen sein. Auch ein Gefühl von Gemeinschaft werde sich unter den Mietern einstellen, hatten Utopisten und Sozialdemokraten propagiert. Und ein Architekten-Team um Bruno Taut versuchte dies Ende der 1920er Jahre in Stein zu fassen.

Die Ausstellung bietet einen differenzierten Blick auf die Bewohnerschaft der Mustersiedlung in ihren Anfangsjahren. Keineswegs war diese homogen links und sozialdemokratisch geprägt. Nachbarn zankten sich wie überall: Dass etwa der Sohn des Künstlers Heinrich Vogeler splitternackt durchs Gärtchen tobte, erzürnte die Anrainer. Oppositionelle Bewohner zogen 1933 fort, aus Angst vor Verhaftung oder weil sie arbeitslos geworden waren. In ihre Wohnungen zogen nicht selten Nazis. Hinter 50 nachgebildeten Türen zu realen Adressen der Großsiedlung verbergen sich in der Ausstellung Einzelschicksale. In einer Datenbank lassen sich über 1400 Namen und Zusatzinformationen zu den damaligen Siedlungsbewohnern nachschlagen.

Die wenigen jüdischstämmigen Bewohner, die in der neuen Siedlung lebten, waren aus dem Judentum ausgetreten oder hatten wie Hannahs Mutter Bronia Schmeltzer einen nichtjüdischen Partner. Die Zahnärztin praktizierte in der Onkel-Herse-Straße 46, ihr protestantischer Mann Kurt Schmeltzer war Journalist und Kinderbuchautor. Hannah erinnert sich an die Künstlerfreunde ihrer Eltern, die gemeinsam öfter mal feucht-fröhliche Feste feiern; Vater spielte die Gitarre.

Elisabeth Rosenthal (links) und Hannah Schmeltzer, um 1937.
Elisabeth Rosenthal (links) und Hannah Schmeltzer, um 1937.

© Privatbesitz Elisabeth Rosenthal

Vertreibung durch die Nationalsozialisten

Schon 1933 schmierte jemand „JUDE“ an die Zahnarztpraxis. Dass bis 1938 ein paar Häuser weiter in der Onkel-Herse- Straße 34 einige Jahre der Holocaust-Organisator Adolf Eichmann mit seiner Familie lebte, hat Hannah erst jetzt erfahren. In dieses Haus zog nach Kriegsende Leo Hauser, der als Jude fünf Jahre Haft in den Lagern Sachsenhausen und Auschwitz-Monowitz überlebt hatte.

Als Hannahs Mutter die Berufserlaubnis entzogen wurde und auch ihr Vater Aufträge verlor, weil er zu seiner jüdischer Frau hielt, emigrierten die Eltern mit ihrer Tochter im April 1939 nach England. Dort wurde Hannah in der Schule gemieden als Tochter eines Deutschen, der nach Kriegsbeginn wie so viele andere auf der Isle of Man interniert war.

Hannah hat nun ein Foto wiedergefunden: ihre Freundin Betzi als Mädchen, auf dem Schoß eine schwarz-weiß gescheckte Katze. Erich Mühsams Katze! Der jüdische Dichter und Anarchist, auch er „Hufeisen“-Bewohner, wurde 1934 im KZ Oranienburg ermordet. Elisabeth Rosenthal erinnert sich an Besuche bei den Mühsams. Der kleinen Elisabeth imponierte dieser sonderbare Tierfreund, der seiner Katze einen eigenen Stuhl reservierte.

Auch Elisabeth Rosenthal kann die Kinderfreundschaft zu Hannah mit Fotos belegen. Hannahs Mutter war auch ihre Zahnärztin. „Die war so lieb zu uns, die hat uns sogar Schokoladenplätzchen geschenkt, wenn wir da hinmussten.“ 1939 entkam Elisabeth mit einem Kindertransport aus Deutschland. Ihre Mutter Eleonore, eine Montessori-Pädagogin, konnte erst Wochen später nachreisen. Vater Henio, ein mit den Kommunisten sympathisierender Ingenieur, war schon seit Jahren in Moskau. 1943 starb er in einem sibirischen Lager.

Hannah Shaw-Ridler 2012 im Garten ihres Hauses in Little Walden, England.
Hannah Shaw-Ridler 2012 im Garten ihres Hauses in Little Walden, England.

© Privatbesitz Karolin Steinke

Mit ihrer wiedergefundenen Freundin will sich die Pädagogin Elisabeth Rosenthal nun auf die Suche nach den Adressen ihrer Britzer Kindheit machen – kein Problem, dass Hannah die geborgten Bücher nicht mehr hat.

„Das Ende der Idylle? Hufeisen- und Krugpfuhlsiedlung in Britz vor und nach 1933“ vom 18. Mai bis 29. Dezember 2013 im Museum Neukölln, Alt-Britz 81, Eintritt frei, Di-So 10-18 Uhr.

Karolin Steinke

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