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Berlin: Hunderte Ukrainer eingeschleust – Bewährungsstrafe

Erstes Urteil in Berlin nach der Visa-Affäre. Busunternehmen fuhr Arbeiter illegal nach Portugal

„Wir haben für Ukrainer Einladungen geschrieben“, gestand der Busunternehmer. „Weil Visa für diese Personen sonst nicht erteilt worden wären“, fügte Reino R. hinzu und versicherte: „Für mich war damals aber nicht klar, dass ich kriminell gehandelt habe.“ Sein Anwalt sprach von einer „außerordentlichen Verwirrung“ durch die Außenpolitik. Das Amtsgericht Tiergarten gab der Verteidigung am Ende Recht. Die Taten seien aufgrund der Visa-Politik der Bundesregierung möglich geworden, hieß es im Urteil. Gegen den Busunternehmer und einen Mitangeklagten ergingen gestern jeweils Haftstrafen von 20 Monaten auf Bewährung.

Es war der erste Berliner Prozess im Zusammenhang mit der Visa-Affäre. Der 40-jährige R. und sein ehemaliger Mitarbeiter Urs S. mussten sich wegen des Einschleusens von Ausländern verantworten. Zwischen Anfang April und Ende Juni 2001 hatten sie Einladungen für 487 Ukrainer aufgesetzt, die über ein ukrainisches Reisebüro der Deutschen Botschaft in Kiew vorgelegt wurden. Urlaubsreisen nach Berlin, Potsdam und Hannover seien geplant, hieß es darin. Es wurde jeweils ein Reiseprogramm sowie eine Hotelbuchung beigefügt. Letztlich wurden 291 Ukrainer ins Land geschmuggelt. Sie blieben aber nur eine Nacht in Deutschland – und wurden am nächsten Tag nach Portugal gebracht, wo sie arbeiten wollten.

R. und der 63-jährige S. wussten das genau. „Ich habe einen großen Fehler gemacht“, sagte der Busunternehmer, für dessen Treptower Unternehmen damals bis zu 35 Fahrer tätig waren. Erst in Berlin seien die Ukrainer von seiner Firma in Empfang genommen worden. Von der Zusammenarbeit mit dem Kiewer Reisebüro habe er sich vor allem eines erhofft: Den Sprung ins Osteuropa-Geschäft. Einen Linienverkehr zwischen Deutschland und der Ukraine hätten sie aufbauen wollen.

Die Verbindungen zu dem Reisebüro in der Ukraine hatte Urs S. geknüpft. „Die Mafia ist in der Ukraine zu suchen“, sagte der Diplom-Wirtschaftler. Er, ein Mann, der dort längere Zeit gelebt hat, will auch aus Mitgefühl „getrickst“ haben. „Das Sozialgefälle dort ist schlimm“, meinte er vor dem Gerichtssaal. „Leute, die aus armen Verhältnissen stammen, wollten für sechs Monate in Portugal etwas Geld verdienen. Ich wollte etwas Gutes tun.“ Und im Internet sei zu lesen gewesen, dass Portugal die Visa für die Gastarbeiter aus der Ukraine anstandslos verlängere.

Die beiden Angeklagten sagten, sie wären vor den Fahrten noch im Auswärtigen Amt gewesen. Sie hätten von ihrem Plan berichtet. „Um ganz sicher zu sein“, meinte der Busunternehmer. Man habe ihm gesagt, dass die Sache zwar nicht rechtens sei. Gestoppt habe man ihn aber nicht. „Was wollen Sie – Portugal braucht Arbeitskräfte“, habe ein Beamter erklärt. Wie der Mann heißt, wissen R. und S. allerdings nicht mehr.

Seit Dezember letzten Jahres prüft ein Untersuchungsausschuss, ob die Visa-Politik der Bundesregierung Schwarzarbeit, illegale Einwanderung und Zwangsprostitution erleichterte oder förderte. Die Opposition wirft vor allem Außenminister Joschka Fischer vor, nach dem Regierungswechsel 1998 die Visa-Vergabe vereinfacht und damit den Missbrauch deutscher Einreise-Visa an der Botschaft in der Ukraine erleichtert zu haben. Fischer wurde stundenlang befragt, zuletzt Bundesinnenminister Otto Schily.

„Die müssten mal hier sein“, schimpfte ein Prozess-Zuhörer. Der Mann kam aus Dresden; dort stand er wie R. und S. wegen Einschleusens von Ausländern vor Gericht, wurde zu drei Jahren Haft verurteilt. R. und S. blieben eher zurückhaltend. Die 25 000 Euro, die er mit den illegalen Fahrten nach Portugal eingenommen hat, gehen an die Landeskasse.

Kerstin Gehrke

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