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Berlin: Hysterie siegt

Wenn erst einmal die Boulevardzeitungen den Ton angeben, ist die Vernunft erledigt. „Berliner Mütter in Angst!

Wenn erst einmal die Boulevardzeitungen den Ton angeben, ist die Vernunft erledigt. „Berliner Mütter in Angst!“ „Wer schützt unsere Kinder vor Sex-Tätern?“ Blinde Wut ersetzt Abwägung. Das war nun auch in Heiligensee so, wo empörte Anwohner gegen eine neue Wohngruppe im Heiligenseer Diakoniezentrum anrannten. Die „Sex-Täter“ – das wären acht Jungen gewesen, die sexuell missbraucht wurden, selbst sexuell auffällig – aber nicht straffällig – waren und nun nach einem fachlich anerkannten und nach menschlichem Ermessen sicheren Konzept rund um die Uhr betreut werden sollten. Ihnen hätte dort geholfen werden können – doch die fatale Hysterie, die dem Projekt entgegenschlug, hat das verhindert.

Der abrupte Rückzug des Trägers ist verständlich, denn angesichts des öffentlichen Drucks war das Projekt nicht zu realisieren. Doch wo könnte es nun noch verwirklicht werden? Der Beweis ist ja angetreten: Die Nachbarschaft muss nur laut genug „Aber nicht bei uns!“ schreien, und schon ist der Standort für schwierige Sozialarbeit irreparabel zerstört, jeder Standort. Denn Schulen und Kitas und erregbare Nachbarn gibt es überall.

In Heiligensee sollte man darüber nicht allzu laut frohlocken. Denn ohne jeden Zweifel gibt es auch an den so friedlichen Heiligenseer Schulen Kinder, die sexuell missbraucht werden, deshalb selbst auffällig sind und dringend Betreuung benötigten. Doch vor solchen Einsichten verschließt man droben fest die Augen – damit nur die Scheinidylle gewahrt bleibt.

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