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© Thilo Rückeis

Ehrhart Körting: "Ich gebe keine Seele verloren"

"Wir müssen mehr dafür tun, damit Defizite bei Menschen abgebaut werden", sagt Berlins Innensenator Ehrhart Körting. Im Zuge unserer Leseraktion antwortet er auf die Fragen der Tagesspiegel-Leser und erklärt, warum er auch zwielichtige Moscheevereine besucht.

Herr Körting, es wird viel über Integration geredet, aber wann ist ein Einwanderer eigentlich integriert?



Ein Einwanderer ist integriert, wenn er sich in unsere Gesellschaftsverhältnisse eingefunden hat und zwar auch subjektiv, also wenn er sich als Bewohner dieser Stadt fühlt.

Und was ist, wenn er sich als Bewohner dieser Stadt fühlt, aber kriminell ist?

Dann ist er trotzdem integriert. Die Tatsache, ob jemand eine Straftat begeht, hat nichts damit zu tun, ob er oder sie integriert ist. Das hat eher soziale Hintergründe.

Unser Online-User „Diabolo“ will von Ihnen wissen, warum sich Migranten anstrengen sollten, sich zu integrieren, wenn ihnen keine spürbaren Konsequenzen drohen.

Es ist ein Fehlschluss zu glauben, dass fehlende Integration für einen selbst keine Konsequenzen hat. Allerdings müssen wir noch mehr darüber aufklären, welche negativen Folgen sie hat. Wir sind ein hochtechnisiertes Land, in dem Sie nur dann einen guten Lebensstandard erwirtschaften können, wenn Sie über sehr viel Bildung und Ausbildung verfügen. Es mag für den Einzelnen noch funktionieren, wenn er sagt, ich bin es gewohnt, mit wenig auszukommen und lasse mir von Vater Staat helfen. Aber spätestens an den Kindern versündigen sich diese Leute. Seinen Kindern das zuzumuten, was man selbst aus Palästina oder anderswo kennt, ist nicht in Ordnung. Sie grenzen damit ihre Kinder von der Gesellschaft ab. Wer nicht bereit ist, das Bestmögliche für seine Kinder zu tun, muss damit rechnen, dass sie kriminell werden und abdriften.

Muss der Staat nicht mehr tun, als nur an die moralische Verantwortung der Eltern zu appellieren?

Die spannende Frage ist ja, welche Instrumente hat der Staat. Und da ist das wichtigste die Überzeugung. Man muss die Menschen davon überzeugen, dass sie etwas für ihre Kinder tun müssen. Alles was sie über die Vernunft mit den Menschen regeln können, ist besser als das, was sie mit der Knute durchbringen. Es ist keine Frage des Angebots. Wir haben in Berlin wahnwitzig viele Angebote an Familien- und Jugendhilfe, an Ausbildungsmöglichkeiten, Förderprogrammen an Schulen und Kitas.

Unsere Leserin „Strübchen“ merkt an, dass „immer neue Mütterkurse" geschaffen werden. Müssten Sie nicht stattdessen mehr Männer und Väter in die pädagogische Arbeit einbeziehen?

Ja, die Männer müssen wir dringend in die Integrationsarbeit einbeziehen. Aber auch hier bleibt die vorrangige Aufgabe zu vermitteln, dass es in ihrem eigenen Interesse liegt, die bestehenden Angebote anzunehmen.

Und wie – will „Delta“ wissen – wollen Sie die Familien erreichen , denen oftmals Integrationsunwilligkeit oder -unfähigkeit bescheinigt wird?

Dafür arbeiten wir immer mehr mit den Communities zusammen, wobei ich allerdings auch da Schwierigkeiten sehe. In den Vereinen und Verbänden sitzen meist gut integrierte Mittelständler, die Türken oder Araber aus einfachen Familien und ohne Schulabschluss auch nicht gut erreichen. Aber es gibt keine Alternative zu den Vertretern der Communities und zu den Moscheen. Ich gehe als einer der wenigen meiner Amtskollegen regelmäßig in Moscheen und suche den Kontakt zu Glaubensgemeinschaften.

Über das Islamforum stehen Sie auch in Kontakt mit Glaubensgemeinschaften, die vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Andere Bundesländer meiden die Zusammenarbeit mit zwielichtigen Moscheevertretern. Warum haben Sie keine Berührungsängste?

Das ist eine ganz einfache Strategie: Ich gebe keine Seele verloren. Wenn ich was aufbrechen will, muss ich mit den Leuten kommunizieren und darüber reden, warum ich manche ihrer Auffassungen nicht teilen kann. Dabei gibt es eine einfache Grenze: Ich kommuniziere nicht mit denen, die Gewalt propagieren. Bei denen sehe ich in der Tat nur die Möglichkeit, mit repressiven Mitteln vorzugehen. Aber bei der Muslimbruderschaft oder Milli Görüs gibt es zwar Brüche zu unserem Demokratieverständnis, doch sie propagieren in der Bundesrepublik keine Gewalt. Der Staat wäre ganz schlecht beraten, wenn er nicht den Dialog mit Leuten führt, die Dialogbereitschaft an den Tag legen.

Unser Leser „Rotehand“ fragt: Das Bild von Muslimen scheint sich in Berlin auf ein Bild von integrationsunwilligen, demokratiefeindlichen, aggressiven Menschen reduziert zu haben. Wie kann dieses Bild differenziert werden?

Wir haben geschätzt 240 000 Muslime in der Stadt. Auch innerhalb dieser Gruppe gibt es erhebliche Debatten, manche sind mit unserem Demokratieverständnis schwer zu vereinbaren. Allerdings werden sich die jungen Menschen in unserer Gesellschaft anders entwickeln und anders mit dem Islam umgehen, als sie es in der westlichen Sahara könnten. Ich brauche gar nicht fordern, dass sich ein Islam westlicher Prägung entwickelt, es wird vielleicht noch etwas Zeit in Anspruch nehmen, aber das wird in unserer hochtechnologisierten Welt automatisch so sein. Die Zensur-Forderungen der Mullahs im Iran zum Beispiel werden lächerlich gemacht durch UMTS-Handys und Internetblogs.

Der rot-rote Senat will in diesem Jahr Integration zum Schwerpunkt machen. Wowereit kündigte einen neuen Vorstoß an und verwies auf die zuständigen Senatoren. Wie sehen Ihre Pläne aus?

Die Koalition wird in diesem Jahr über ein Integrationsgesetz diskutieren, damit mehr Menschen mit Migrationshintergrund in die Kommunen eingebunden werden. Außerdem müssen wir mehr dafür tun, damit Defizite bei Menschen abgebaut werden. Das betrifft nicht ausschließlich Ausländer. Zwar gibt es zu viele Einwandererkinder ohne Schulabschluss, aber es gibt eben auch Kinder aus deutschen Familien, die keinen Abschluss haben und Perspektiven brauchen. Die Programme, die wir haben, richten sich an alle Menschen mit wenig Aufstiegschancen. Aber grundsätzlich sollten wir jetzt nicht so tun, als würde wir bei der Integration bei Null anfangen. Wir haben eine Menge Probleme und viel vor uns, aber wir haben auch schon viel geleistet. Schauen Sie sich die jährlich veröffentlichten Abiturlisten im Tagesspiegel an: Da sind zahlreiche türkische Namen darunter, mit einem Notendurchschnitt von 1,0 oder 1,5.

Wie kommt es, dass in der Öffentlichkeit immer von Türken und Arabern die Rede ist, wenn es um Integrationsprobleme in Berlin geht? Machen andere Gruppen keine Schwierigkeiten?

Es gibt eine europäische Kulturidentität, die Integration erleichtert. Diese Identität haben beispielsweise Italiener, Spanier, Polen, in Teilen auch Russen und Ukrainer. Höchstwahrscheinlich auch Menschen aus Ankara und Istanbul. Bei Leuten aus Mardin, im Osten der Türkei, gibt es diese Kulturidentität schon nicht mehr, weil sie dort in einer Welt leben, die sich in vielen Bereichen sehr von unserer unterscheidet. Und deshalb sind bei diesen Menschen mehr Anstrengungen erforderlich, um Integration zu erreichen, als bei anderen.

Es heißt aber doch oft, Vietnamesen seien in Deutschland am besten integriert. Die haben mit der europäischen Kultur kaum Berührungspunkte, wenn sie herkommen.


Das hat wiederum nichts mit der Kultur zu tun, ebenso wie bei Chinesen, Armeniern oder anderen kleinen Gruppen. Zuwanderer, die zahlenmäßig nicht in großen Communities leben, sind stärker gezwungen sich zu integrieren, wenn sie überleben wollen.

Die türkische Regierung erklärt, es leben in 118 Ländern rund 5 Millionen Auslandstürken, davon über zwei Millionen allein in Deutschland. Ist die große Zahl ein Nachteil für ihre Integration?


Nachteil klingt immer so negativ. Ich würde sagen, je größer die Gruppe ist, desto größer müssen die Integrationsanstrengungen sein. Die große Gruppe hat einen Vorteil: Die Menschen fühlen sich emotional gebunden und sicher. Der Nachteil ist, dass große Gruppen schnell ein Eigenleben entwickeln, mit eigenen Geschäften, Gaststätten, Ärzten etc. Das Phänomen gibt es nicht nur in Bezug auf Türken, sondern auch Araber in Neukölln und manche Russen in Marzahn-Hellersdorf. Das Paradebeispiel sind junge Menschen aus der Türkei, die in Deutschland in eine türkische Familie einheiraten und hier keinerlei Bedürfnis entwickeln, Deutsch zu lernen. Sie können so weiterleben wie in der Türkei. Diese Situation erschwert die Integration in der Gesamtgesellschaft.

Sie haben vor kurzem in einem Interview gesagt, dass wir auch deshalb ein Problem mit Integration haben, weil sich der türkische Staat noch immer politisch verantwortlich fühlt und einmischt. An anderer Stelle sagten Sie, „das hat keine konkreten Auswirkungen auf die hier lebenden Türken“. Was stimmt nun?

Zu sagen, die Türkei ist schuld an unseren Integrationsproblemen, wäre viel zu verkürzt. Aber auch der türkische Staat muss akzeptieren, dass die Menschen aus der Türkei, die hier leben, Auswanderer sind. Manchmal habe ich aber den Eindruck, dass einige türkische Politiker eine Vormundschaft für türkische Bürger beanspruchen. Kritisch wird es, wenn einige vermitteln, „ihr seid zwar ausgewandert, aber eigentlich gehört ihr noch zur Türkei und werdet überall schlecht behandelt außer bei uns“. Das ist desintegrativ.

Signalisieren denn deutsche Politiker genügend, dass sie sich für Einwanderer zuständig fühlen?


Die Politik, sowohl in Berlin als auch auf Bundesebene, hat in den letzten Jahren viel dazugelernt. Bis auf die einiger Hardliner sind die Integrationsaussagen ja viel weicher geworden. Ob das Angela Merkel betrifft oder andere CDU-Politiker: Die Integration unter Beibehaltung der kulturellen Identität ist inzwischen ein Allgemeingut. Deswegen sage ich auch, keiner redet mehr von Assimilation, wenn es um Integration geht.

Das Gespräch führten Ferda Ataman und Atila Altun

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