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Berlin: „Ich habe aus Angst gestanden“

Prozessauftakt um den Mord an Neuköllner Polizisten: Mutmaßlicher Schütze weist Anklage zurück

Es muss Patrick Lieschied unendlich viel Kraft kosten. Still sitzen zu bleiben, die Fassung zu bewahren – während neben ihm der mutmaßliche Mörder seines Vaters sein Geständnis widerruft, über brutale Polizisten lamentiert, über Schläge, Tritte und eine kalte Zelle. „Ich hatte Angst und habe deshalb alles unterschrieben“, lässt Mehmet E. seinen Verteidiger verlesen. Nein, weitere Fragen wolle er aber nicht mehr beantworten.

Die Wut von Patrick, Lieschieds ältestem Sohn, ist jetzt fast greifbar: Der 20-jährige Polizistensohn beißt fest die Zähne aufeinander, er schaut an die Decke, schüttelt den Kopf, legt sich eine Hand über die Augen. Der junge Mann ist heute mit seiner Mutter in den Gerichtssaal gekommen, weil er wissen will, was diese Männer getrieben hat. Warum sie am 17. März acht Mal auf seinen Vater geschossen haben. Ohne Vorwarnung, bei einer Routinekontrolle an der Hasenheide. So jedenfalls hat es der Staatsanwalt gerade vorgetragen.

Doch der 40-jährige Mehmet E. will heute von seinem Geständnis nichts mehr wissen. Ein schmaler Typ, mit kurz geschorenem Haar, Schnurrbart. Und auch der 30-jährige Türke Yusuf K. bestreitet in seiner Panzerglasbox, etwas mit dem Mord an Uwe Lieschied zu tun zu haben. In die Nähe des Tatorts sei er eher zufällig geraten, Pfefferspray und Elektroschocker habe er „nur zur eigenen Verteidigung“ dabeigehabt.

Es klimpert im Saal, als ein Wachtmeister Mehmet E. und Yusuf K. von den Metallfesseln an Händen und Füßen befreit. Weil Mehmet E. seinen Freund bei der Polizei verpfiffen hat, setzt man die beiden Angeklagten sicherheitshalber in zwei verschiedene Boxen. Beide tragen Kopfhörer, die sie mit einem Dolmetscher verbinden. Dann tritt Sven B. – 28 Jahre alt, Polizist – als erster in den Zeugenstand. Seine Stimme bricht auch heute noch, wenn er über den 17. März spricht, über seinen letzten Einsatz mit Uwe Lieschied (42). In einem Opel kurvten die drei Zivilbeamten durch Neukölln, als sich Lieschied plötzlich von der Rückbank meldete. „Seht ihr die beiden, die rennen, lasst uns die mal überprüfen.“ Lieschied arbeitete seit 14 Jahren im Kiez, er hatte wieder den richtigen Instinkt, doch an diesem Abend kostete er ihn das Leben. Als Lieschied die beiden Männer ansprach („Jungs, bleibt mal stehen, Polizei“), zog einer eine halbautomatische Browning und schoss drauflos. Sven B. konnte sich mit einem Sprung hinter einen Wagen retten, Lieschied brach – tödlich verletzt – auf dem Pflaster zusammen.

Im Saal 500 beugt sich Heike Lieschied zu ihrem Sohn, flüstert. Die 40-Jährige sieht erschöpft aus, als hätte sie viele Nächte mit dem Schlaf gerungen. Taschentücher liegen auf dem Tisch, doch die braucht sie nicht. Später verschwindet die Familie durch einen Extra-Eingang aus dem Saal. „Höchst überrascht“ habe die Mandantin den Widerruf vernommen, sagt ihr Anwalt. Eigentlich schien ja schon fast alles klar. Nachdem Mehmet E. die Schüsse gestanden und die Polizei zur versteckten Waffe geführt hatte, nachdem passende DNA- und Schmauchspuren gefunden waren. Nun wird sich der Prozess über Wochen hinziehen.

Dabei hatte Mehmet E. beim Haftrichter noch einmal alles bestätigt: Dass er am Abend kurz zuvor mit seinem Kumpel eine 54-jährige Frau überfallen und mit ihrer Handtasche 50 Euro erbeutet hatte. Dass sie deshalb auf der Flucht waren. Hätten sich Mehmet E. und Yusuf K. von Lieschied festnehmen lassen, wären sie am nächsten Tag vermutlich wieder auf freiem Fuß gewesen.

Nach dem Mord hatten viele Berliner Anteil genommen, auf einer Kundgebung, bei der Trauerfeier und beim Hertha-Benefizspiel für die Familie. Lieschieds beide Söhne hatten die Auswahl „Polizei and Friends“ aufs Feld geführt. „Uwe“ stand hinten auf ihren grünen Trikots und vorne: „Für immer“. Patrick schoss zwei Tore.

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