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Berlin: „Ich habe die Solidarität der Mediziner wohl überschätzt“

Manfred Richter-Reichhelm war zwölf Jahre lang der Chef der Berliner Kassenärzte. Der Abschied fällt ihm nicht sonderlich schwer

Er ist ein Blockierer: Manfred Richter-Reichhelm, 62 Jahre alt, Reinickendorfer Urologe, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KV) und ihres Berliner Pendants. Den Titel verdankt er den Lesern der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“. Weil er das Monopol auf die Preise der Ärzte habe. Das schade den Patienten. Ein Blockierer genannt zu werden, wo er sich doch selbst als Bewahrer sieht – Bewahrer des dichten Netzes ambulanter Versorgung in Deutschland wie auch des Anspruchs der KV, die Preise für die Leistungen aller Kassenärzte mit den Krankenkassen auszuhandeln –, das lässt den groß gewachsenen Mediziner kalt. „Da bin ich in guter Gesellschaft.“ Denn die FAS-Leser haben insgesamt gleich sechs Blockierer gekürt: Horst Seehofer zum Beispiel, geschasster Gesundheitsexperte der Union, und Oskar Lafontaine, umtriebiger SPD-Politrentner im Saarland.

Nun geht auch Richter-Reichhelm, der Chef von 7700 Berliner Kassenärzten, in den Ruhestand. Zwölf Jahre – mit einer sechsjährigen Unterbrechung – stand Richter-Reichhelm an der Spitze der Berliner Kassenärzte. Seine letzte Amtszeit endet am 31. Dezember, seine Nachfolgerin – Angelika Prehn aus Friedrichshain – ist längst gewählt. Der Wechsel ist wohl vorbereitet. Vor einem Jahr schon hatte Richter-Reichhelm angekündigt, er werde sich nicht mehr zur Wahl stellen. Er hält ein Versprechen an seine Frau: Ende 2004 ist Schluss.

Manchen seiner Mitkämpfer war der verbindlich auftretende Urologe zu sanft im Umgang mit Politik und Krankenkassen. Er setzte auf Verhandlungen und Appelle, um die Einkommenssituation der niedergelassenen Mediziner zu verbessern. Denn die verdienen in der Hauptstadt im Durchschnitt am wenigsten von allen Bundesländern.

Richter-Reichhelm kippte die von der Politik gedeckelten Arzneibudgets auf Bundesebene und machte auf Berliner Ebene das eine oder andere Zusatzhonorar locker. Den Kassenärzten aber reichte das nicht: Sie hatten das Gefühl, immer mehr arbeiten zu müssen für immer weniger Geld. Diese Geldprobleme begleiteten den KV-Chef während seiner gesamten Amtszeit. Und die Proteste dagegen trafen immer auch die Kranken. Konnte man sich nicht mit den Kassen über die Honorare fürs Impfen einigen, dann baten manche Ärzte ihre Patienten zur Privatkasse. Stritt man um die Höhe der Behandlungsbudgets, dann wurden Kranke zum Ende eines Quartals weggeschickt mit der Begründung, das Budget für Kassenpatienten sei aufgebraucht.

Den Ärger bekam auch die KV zu spüren, deren Aufgabe unter anderem die Verteilung der Honorare ist. Vielleicht war das einer der Gründe, die Richter-Reichhelm in einen Kampf trieben, dessen Ausgang er heute als eine seiner größten Niederlagen empfindet: Den Streik der Berliner Ärzteschaft Anfang 2003 – oder wie er es selbst nennt: „Dienst nach Vorschrift“. Die Berliner Praxen sollten abwechselnd schließen, um den Politikern vorzuführen, wie lange das Geld reicht, das die Ärzte für ihre Arbeit bekamen. Die Idee wurde auf einer Protestveranstaltung in der Technischen Universität geboren, wo der Saal überkochte vor wütenden Ärzten. Richter-Reichhelm setzte sich an die Spitze des Protestes. „Ich habe den Kanal voll“, rief er in den Saal – ungewohnte verbale Schärfe für jemanden, der sonst nicht zu Parolen und Polarisierungen neigt.

Aber die Doktoren ließen ihren plötzlich rauflustigen Chef im Regen stehen. Vier Wochen später wurde der Ausstand, der eigentlich nie richtig begonnen hatte, schon wieder beendet. Er habe die Solidarität der Mediziner wohl überschätzt, so lautet der knappe Kommentar von Richter-Reichhelm.

Sicher wird diese Erfahrung den Abschied vom Funktionärsdasein nicht erschwert haben. Den Sommer will Richter-Reichhelm künftig auf der Insel Bornholm verbringen, wo seine Frau eine Pension betreibt. Im Winter aber ist er in Berlin. Nur in seiner Praxis in Reinickendorf wird er noch selten zu sehen sein. Er wolle seinen Nachfolger nicht stören, sagt Richter-Reichhelm. „Schließlich bin ich seit acht Jahren raus aus dem Geschäft mit den Patienten.“

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