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Matthias Kalle.

© Privat

Ich habe verstanden: Silvester am Brandenburger Tor wird mittelalterlich

Die Silvesterfeier am Brandenburger Tor war im vergangenen Jahr vielen Besuchern zu "ballerhaft". Die Veranstalter haben daraus gelernt und bieten in diesem Jahr Stars und Sternchen, die uns ans Jahr 1713 erinnern.

Es ist tatsächlich nicht so, dass ich Silvester nicht mag. Es ist eher so, dass mir Silvester egal ist, immer schon egal war, immer egal bleiben wird. Warum das so ist? Mhm, keine Ahnung, vielleicht hat es mit einem generellen Misstrauen gegenüber Datumsdingen zu tun. Offensichtlich ist es ja in keinem Fall gesichert, dass der Jahreswechsel vom 31. Dezember auf den 1. Januar fällt - es ist nicht einmal klar, von welchem Jahr welches folgt: die Theorie des so genannten "Erfundenen Mittelalters" (auch: Phantomzeit-Theorie) behauptet zum Beispiel, dass es die Jahre 615 bis 910 nie gegeben habe, das also 297 Jahre "erfunden" wurden, demnach leben wir heute im Jahr 1713. Aber selbst wenn es das "Erfundene Mittelalter" gegeben haben soll, würde das nicht stimmen, denn schließlich gilt für uns heute die "Christliche Zeitrechnung", die war zunächst abhängig vom "Julianischen Kalender", später dann vom "Gregorianischen Kalender".

Die "Christliche Zeitrechnung" besagt, dass das erste Lebensjahr Jesus unser "Jahr 1" ist, allerdings steht im Matthäus-Evangelium, Jesus sei vor dem Tod Herodes geboren wurde, der starb allerdings nach unserer Zeitrechnung im Jahre 4 vor Christus. Im Lukas-Evangelium steht, Jesus sei bei der ersten römischen Volkszählung geboren, und zwar als Quirinus Statthalter in Syrien war. Das wurde er allerdings erst im Jahre 6 nach Christus, demnach wäre Jesus im Jahr 7 nach unserer heutigen Zählung geboren. Das wir also dieses Jahr am 31. Dezember des Jahreswechsel zum Jahr 2011 feiern, scheint mindestens diskussionswürdig.

Aber all das hilft nichts - den Menschen ist das egal, Silvester wird weiterhin gefeiert, seltsamerweise sogar jedes Jahr, unabhängig davon, ob das endende Jahr ein gutes war oder das kommende Jahr ein gutes sein wird. Logisch ist das alles nicht. Unfassbar unlogisch war für viele Berliner das, was sich vergangenes Silvester am Brandenburger Tor zutrug. Auf dieser "größten Silvesterparty der Stadt/des Landes/Europas/der Welt" traten unter anderem Jürgen Drews (König von Mallorca) und die Atzen (Heinis vom Dienst) auf. Das sei einigen dann doch zu "ballerhaft" gewesen, wobei die Frage erlaubt sein muss, was man denn erwartet, wenn man Silvester mit 200.000 anderen am Brandenburger Tor feiert. Aber offensichtlich haben sich die Veranstalter diese Kritik zu Herzen genommen und am Mittwoch das Abendprogramm für die diesjährige Feier bekannt gegeben. Und das sind: Das Musical-Ensemble von "We Will Rock You", Leslie Mandoki, Adoro, Bonnie Tyler und Paul Potts. Kruze Erklärung für die Jüngeren und Kulturinteressierten: "We Will Rock You" hat etwas mit der Rockband Queen zu tun, die ihre große Zeit in den 70er Jahren hatte; Leslie Mandoki war mal Mitglied der Schlagerkapelle Dschingis Kahn, obwohl er in seinem Herzen ein Jazzer ist; Adoro ist eine zusammengecastete Opernsänger-Schnulzen-Combo; Bonnie Tyler hatte zwei halbe Hits Mitte der 80er Jahre und ist mit einem Cousin des Vaters der Frau von Michael Douglas verheiratet; Paul Potts hat mal Werbung für die Telekom gemacht. Der Berliner Lichtkünstler Gert Hof sorgt für Knaller und Raketen, die laut Veranstalter aus der Feier ein "multimediales megaoutdoor Event" machen werden.

Das ZDF überträgt das Ganze ab 23 Uhr. Das Fernsehprogramm an Silvester erinnert tatsächlich an das Jahr 1713. Bevor die Aufklärung und die Moderne begann.

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