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Interview II: Wowereit: "Ich wünsche mir mehr Mut von Architekten"

Der Regierende Bürgermeister glaubt, dass sich das Tacheles überlebt hat, und sieht am Hauptbahnhof eine "vermurkste Situation". Klaus Wowereit im Interview über seine Pläne für Berlin.

Im SPD-Wahlprogramm steht: „Wild und schön. Berlin wächst wieder“. Wie wild muss das Zentrum aussehen?

Wild nicht im Sinne von chaotisch und unstrukturiert. Es soll eher die Kraft dieser Stadt verdeutlichen.

Braucht Berlin nicht zum Beispiel das Tacheles, um interessant zu sein?

Wir brauchen Freiräume für Kultur, auch in der Stadtmitte. Aber es lässt sich nicht alles, was in der Wendezeit interessant war, konservieren. Das Tacheles, so wie wir es einst ins Herz geschlossen haben, gibt es längst nicht mehr. Im Bebauungsplan ist aber festgehalten, dass sich dort Kultur wiederfinden soll, wohl wissend, dass das ein weiter Begriff ist. Die Stadt sieht hier weiterhin einen Ort für Kultur.

Orte wie das Tacheles machen aber die Attraktivität Berlins aus.

Die Brache hinter dem Tacheles ist nun alles andere als attraktiv. Dieses Gelände zu entwickeln, ist nicht zum Schaden. Es ist nicht erstrebenswert, eine Ruinensituation über Jahrzehnte aufrechtzuerhalten. Es gibt andere Flächen, wo etwas Neues entstehen kann, was dann nach 10, 20 Jahren vielleicht auch wieder verschwindet. Man kann nicht über jede Brache, die durch Teilung und Weltkrieg entstand, eine Käseglocke legen. Das ist keine sinnvolle Stadtentwicklung.

Apropos Stadtentwicklung: Warum stellen Architekten und Stadtplaner dem Senat ein vernichtendes Zeugnis aus? In Berlin werde vor allem billig, einfallslos und ordinär gebaut.

Über Architektur und Stadtplanung soll man streiten, muss man streiten. Das befördert die weitere Entwicklung. Aber vieles, was heute kritisiert wird, stammt noch aus der Zeit des damaligen Senatsbaudirektors Stimmann; nicht alles hat dessen Nachfolgerin Lüscher zu verantworten. Und wir haben immer die Auseinandersetzung zwischen Investoren-Interessen, die möglichst preiswert Zweckbauten errichten wollen, und dem Wunsch nach einer großartigen Architektur. Berlin kann auf gelungene Architektur verweisen, aber es gibt Beispiele, wo ich mir mehr Mut gewünscht hätte. Leider ist in Berlin, anders als in anderen Städten, auch das private Geld für mutige Projekte nicht so üppig vorhanden.

Was finden Sie positiv?

Die Idee der Stadthäuser finde ich gelungen. Die werden angenommen und geben Orten, die sonst vielleicht wohnungsfrei blieben, eine neue Urbanität. Das ist natürlich nur ein Segment, aber etwas, das Leben in die Stadt bringt.

Früher wurde auf den Stadtforen über die Entwicklung des Zentrums öffentlich gestritten. Jetzt fehlt die Auseinandersetzung – etwa über die Entwicklung an der Heidestraße oder an der Spree in Kreuzberg.

Das ist falsch. Es gibt nach wie vor viele Veranstaltungen. Allein zur Nachnutzung der Flughäfen Tempelhof und Tegel ganze Diskussionsreihen, wo die kreativen Köpfe aufgefordert sind, sich auseinanderzusetzen.

Die Berliner Architektenkammer fordert trotzdem ein neues Stadtforum.

Die brauchen das nicht zu fordern, das findet statt. Es gibt genügend Ideenwettbewerbe und Pläne, die diskutiert werden. Auch für die Eurocity an der Heidestraße. Dort mangelt es aber noch an privaten Investoren.

Die Architektur des Meininger Hotels am Hauptbahnhof stößt auf großen Unmut.

Die vermurkste Situation rund um den Hauptbahnhof ist nicht von der Senatsbaudirektorin Lüscher zu verantworten; der Bebauungsplan ist viel früher entstanden. Ein Hostel wird auch nie eine Stararchitektur aufweisen, sonst wäre es kein Hostel.

War es ein Fehler, den Bundesnachrichtendienst in Mitte zu bauen?

Es ist gut, dass der BND nach Berlin kommt. Zuerst galt Tempelhof als möglicher Standort. Aber dann wäre das Gelände heute nicht öffentlich zugänglich. Ich hätte den BND lieber in der Goerzallee in Lichterfelde gesehen. Andererseits entstehen jetzt in Mitte Arbeitsplätze für tausende von Menschen. Das hat positive Auswirkungen auf die gesamte Gegend.

Mit dem Wahlprogramm präsentiert sich die SPD als Partei der sozialen Marktwirtschaft in Berlin. Trotzdem steht Berlin mit einer Arbeitslosenquote von 14 Prozent an zweitletzter Stelle. Wie hoch wird die Arbeitslosenquote in fünf Jahren sein?

Soziale Gerechtigkeit und sozialer Ausgleich kann nur funktionieren, wenn die Wirtschaft nach vorne kommt. Wir haben in den vergangenen Jahren 118 000 sozialversicherungspflichtige Jobs geschaffen. Auch künftig wollen wir so viel Arbeitsplätze wie möglich schaffen.

Von den 118 000 neuen Arbeitsplätzen gehören viele zum Niedriglohnsektor.

Wir brauchen auch Jobs für Menschen, die keine hohe Qualifikation haben. Dafür haben wir in Berlin ein Vergabegesetz, das den Mindestlohn zur Bedingung macht. Ich sehe dazu keine Alternative. Es gibt in Berlin aber auch viele neue hoch qualitative Arbeitsplätze, zum Beispiel durch den Umzug von Pfizer in die Hauptstadt.

Siemens will eine neue Sparte „Infrastruktur und Städte“ aufbauen. Was tut der Senat, damit die Sparte nach Berlin kommt?

Berlin hat gute Voraussetzungen. Wir sprechen mit Siemens, schon jetzt ist das Unternehmen einer der größten Arbeitgeber der Stadt. Wir hoffen, dass wir die Stärken von Berlin in der Standortentscheidung ausspielen können. Berlin hat diverse „Cluster“ wie Gesundheitswirtschaft oder Verkehrstechnik aufgebaut, die mit Forschungseinrichtungen eng verzahnt sind. Wir wollen auch Vorreiter in der Elektromobilität sein. In kürzester Zeit haben wir dafür eine Agentur aufgebaut, alle an einen Tisch gebracht. Ich hoffe, dass wir im Auswahlverfahren der Regionen bei der Nationalen Plattform Mobilität erfolgreich sein werden.

Wie wird der Flughafen Tegel – nach Schließung 2012 – in ein paar Jahren aussehen?

Das Konzept Umwelttechnologie für Tegel ist richtig. Aber es kann aus Finanzgründen derzeit keine massive öffentliche Startinvestition geben, sozusagen als Initialzündung für dieses Gelände. Deshalb brauchen wir private Betreiber und eine private Schlüsselinvestition.

Wer könnte Ankermieter werden?

Es sollte ein größeres Unternehmen sein, das andere mitzieht. Es muss nicht unbedingt ein Solarunternehmen sein. Darüber gibt es noch keine Entscheidungen. Die Entwicklung könnte in Tegel zunächst auch kleinteiliger beginnen. Erst einmal wird es um die Entwicklung des heutigen Flughafenterminals gehen – als Ankerpunkt. Dort könnte ein Showroom für neue Technologien entstehen.

Ein Thema, das die Wähler sehr interessiert: Warum können Sie als Mehrheitsgesellschafter der Wasserbetriebe nicht einfach die Preise senken?

Die Wasserpreise folgen einer gesetzlich regulierten Preiskalkulation. Und sie wurden von der Umweltsenatorin Katrin Lompscher bisher immer genehmigt. Ihre Behörde ist dafür zuständig, nicht der gesamte Senat. Wie auch immer: Wenn das Land Berlin einseitig aus politischen Gründen die Preise senken würde, müssten wir an die privaten Gesellschafter RWE und Veolia einen Ausgleichsbetrag zahlen. Um dies zu verhindern, muss der Konsortialvertrag mit den Privaten verändert werden. Das wird verhandelt, ebenso der Rückkauf von Anteilen. Außerdem läuft noch das Kartellrechtsverfahren zur Überprüfung der Berliner Trinkwasserpreise.

Warum verzichtet das Land Berlin nicht einseitig auf seinen Gewinn?

Die Gewinnausschüttung fließt in den Landeshaushalt und wird für Bildung oder Infrastrukturmaßnahmen dringend benötigt. Ein Verzicht ohne Änderung der Kalkulationsgrundlagen würde die Bürger bei den Wasserpreisen entlasten, aber an anderer Stelle wieder belasten.

Was geschieht in Sachen Wasser noch vor der Wahl?

Finanzsenator Nußbaum hat den Auftrag, die Verhandlungen mit den privaten Miteigentümern zu führen. Eines ist klar: Wir sind nicht bereit, zu jedem Preis deren Anteile zurückzukaufen. Und ohne eine Einigung mit Veolia über veränderte Verträge nützt ein Kauf der RWE-Anteile gar nichts. Ein neuer Vertrag wird unter Einbeziehung des Parlaments rechtlich verbindlich wohl nicht mehr vor der Wahl abgeschlossen werden. Aber es wäre denkbar, dass seine Inhalte bis zum Sommer klar sind – wenn die Verhandlungen ein positives Ergebnis haben.

Ein großes Ärgernis ist in Berlin der Dreck in den Straßen und der Hundekot.  

Ich gehöre nun ja schon zu den älteren Berlinern und kann aus langjähriger Erfahrung sagen, dass sich das Problem mit dem Hundekot deutlich gebessert hat. Es gibt viele verantwortungsvolle Hundebesitzer, die Tütchen benutzen. Trotzdem ärgern mich dreckige Orte immer noch. Ich kann nicht verstehen, warum sich manche Menschen im städtischen Raum anders verhalten als zu Hause. Die Parks sind keine Müllhalde. Da muss jeder Verantwortung übernehmen. In einer Großstadt wie Berlin können sie aber nicht hinter jede Parkbank einen Ordnungsamtsmitarbeiter stellen. Wir brauchen eine Mentalitätsänderung. Es ist nicht verkehrt, mal selbst aktiv zu werden und eine Schippe in die Hand zu nehmen.

Das Gespräch führten Sabine Beikler, Gerd Nowakowski und Ulrich Zawatka-Gerlach

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