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Berlin: Ideale für die ganze Familie

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„Luxemburg und Liebknecht sind für ihre Ideale gestorben, das ist bewundernswert“, sagt die 16-jährige Daniela. Während sich viele Gleichaltrige an diesem Sonntagmorgen noch einmal im Bett umdrehen, spaziert Daniela mit ihrer Freundin Sofie zu einem Ort, an dem die beiden jungen Frauen anfangs deutlich in der Minderheit sind. Zehntausende vor allem ältere Menschen strömen zur Gedenkstätte der Sozialisten in Friedrichsfelde. Sie legen wie jedes Jahr Nelken an den Gräbern der Sozialistenführer nieder, so wie es in der DDR Tradition war. Nach und nach mischen sich unter die grauhaarigen Besucher aber immer mehr Jugendliche, die die DDR nur noch aus Erzählungen der Eltern kennen. Die meisten stammen aus der östlichen Stadthälfte, viele wurden als Kinder hierher mitgenommen. Inzwischen kommen sie auf eigene Initiative.

„Für uns sind Luxemburg und Liebknecht Vorbilder, weil sie sich selbstlos für eine bessere Gesellschaft eingesetzt haben“, sagen Daniela und Sofie. So wie auch die Geschwister Scholl, die gegen den Nationalsozialismus kämpften. Daniela hat in der Schule eine Politik-AG gegründet, in der sie über Aktuelles diskutiert und zu Hartz IV oder dem Nahostkonflikt Wandzeitungen erstellt. Luxemburgs und Liebknechts Ziel einer sozialistischen Gesellschaft ist auch für sie ein Ideal, sagt Daniela, die außer ihrer AG in keiner politischen Gruppe organisiert ist. Sofie war mal in einer Antifa-Gruppe, und sucht jetzt „nach etwas Passendem“. Die DDR-Nostalgie vieler älterer Besucher ist beiden fremd. „Die Grundsätze waren gut, aber die Umsetzung war weniger erfreulich“, sagt Daniela.

Auch der 16-jährige David legt eine Nelke ab. Er trägt an der Mütze eine Leninplakette. Der Zehntklässler aus Prenzlauer Berg, der keiner politischen Gruppe angehört und zum ersten Mal hier ist, ehrt Luxemburg und Liebknecht, „weil sie für eine sozialistische Gesellschaft gekämpft haben“, wie es auch David als seine Aufgabe ansieht. „Ich organisiere in meiner Schule Diskussionen, um herauszufinden, was damals im Osten falsch gelaufen ist und wie man doch noch eine gerechtere Gesellschaft erreichen kann.“ An seiner Mütze Lenin zu ehren, dem Rosa Luxemburg ablehnend gegenüberstand, ist für David kein Widerspruch: „Lenin war ein intelligenter Typ, aber er hat auch große Fehler gemacht.“

Da kommt Egon Kranz vorbei, der letzte DDR-Staats- und Parteichef. Der 67-Jährige hat keine Zweifel daran, dass die Sozialisten-Ehrung auch für nachfolgenden Generationen eine große Bedeutung haben wird. „Schauen Sie sich doch um, wie viele junge Leute hier sind!“, sagt Krenz und zeigt auf die lange Schlange vor der Gedenkstätte. In diesem Moment sieht man dort allerdings fast nur Besucher im Rentenalter. Aber dann tritt eine Gruppe älterer Leute ehrfürchtig an Krenz heran, und wie zum Beweis seiner These von der alterslosen Bedeutung der Zeremonie, fragt ein grauhaariger Herr Egon Krenz, ob er ein Foto mit ihm machen dürfe – „für meinen Enkel“.

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