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Berlin: Im Bahnhof läuft’s noch nicht ganz rund

Der Glaspalast im Alltagstest: Schließfächer fehlen und Toiletten werden schmerzlich vermisst

Der Mann ist zwei Meter groß, auf seinem roten Jäckchen leuchtet das Wort „Service“. Das zieht die Leute magisch an, für Martin Jentzsch ist diese Rolle ungewohnt, normalerweise sitzt er im Büro der Bahn, heute stemmt er sich auf der zweiten Ebene des Hauptbahnhofs der Wucht der Ratlosigkeit entgegen: „Wie komme ich zum Taxistand?“ „Wo sind die Toiletten?“ „Wann fährt der Zug nach Basel?“ „Wo lasse ich mein Gepäck?“ „Ihr neuer Bahnhof ist klasse, aber wo fahren eigentlich die Züge?“ Der Auskunftsturm bleibt ruhig, blättert im Fahrplan und verrät als Faustregel für die nächsten Jahrhunderte: Das Ost-West-Gleis ist oben, der Nord-Süd-Verkehr unten. „Das lässt sich doch eigentlich leicht merken.“

Gestern schimmerte zum ersten Mal der hauptbahnhöfische Alltag durch die fünf Ebenen des Warenhauses mit Gleisanschluss: Nur noch 20 Prozent der Menschen, die durch die Bahnhofshallen schwirrten, wurden als Sehleute identifiziert, alle anderen irrten auf der Suche nach einem festen Ziel durch den Glaspalast – jenen Bahnsteig, auf dem man in seinen Zug steigen konnte, und sei es nur bis zum Südkreuz und zurück. Die Besucher mit und ohne Trolley schwebten im Verhältnis 1:3 über die Treppen, wer für sein Gepäck ein Schließfach sucht, hat Pech – es gibt keins, aus Sicherheitsgründen. An der Gepäckaufbewahrung weist ein Schild darauf hin, dass sich Schließfächer in den Bahnhöfen Zoo (sic!), Potsdamer Platz, Friedrichstraße und Ostbahnhof befinden. Hier wird man bedient, gestern ging das sehr flott, Koffer und Rucksäcke werden zunächst wie beim Flughafen durchleuchtet und dann (zwischen 6 und 22 Uhr) für drei Euro pro Tag aufbewahrt. Vorgestern war das Röntgengerät ausgefallen; „na, da hätten se mal komm solln, da war hier echt Äktschn“.

In Aktion sind auch die Pächter der einzigen Toilette im ganzen Haus. Die elektronische Eingangssperre ist abgestellt, dafür kassiert eine Frau die 80 Cent für einmal müssen, „nanu?“, fragt der Kunde verwirrt, „is das nicht ein bisschen viel? Immerhin sind das eine Mark sechzig!“ „Einsfunfundfunfzich“ kommt das Echo, „mit Händewaschen“. Bei den Männern geht das alles zack-zack, Frauen stehen etwas länger in der Schlange und bemängeln, dass Mehdorns Jahrhundertwerk nur ein einziges Klo für fünf Ebenen hat, aber dafür nennen sie es WC-Center, und duschen kann man auch – für fünf Euro.

Die Geschäfte wurden gestern zumeist durch die Schaufensterscheiben beäugt, Blumen-Röwer, so bunt wie auf dem Bahnhof Friedrichstraße, hofft darauf, dass sich vor allem die Bahnreisenden ihren Lieben frische Blumen verpacken lassen. „Look 54“ ist ein Geschäft mit sportlichen Klamotten für Jungmenschen, das Berliner Label hat ein goldgerahmtes Porträt von Bahnchef Mehdorn ins Schaufenster gehängt, zwischen dunkle Jacken für Hauptstadtrocker. Und warum Mehdorn? Die Verkäuferin lächelt geheimnisvoll: „Das ist und bleibt unser kleines Geheimnis.“ Gekauft wird momentan weniger als gegessen. Im brechend vollen „Hopfingerbräu“ muss man mittags schon 20 Minuten auf sein Essen warten. Voll sind auch alle anderen Ess-Stationen. Bei Gosch sitzen zwei Hamburger am Matjes: „Super, alles super!“, sagen sie, „aber da fehlt ein Schild, wie man ins Parkhaus kommt. Wir sind nämlich mit dem Auto da.“ Lothar Heinke

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