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Berlin: Im Bunker wartet das Eichenbufett

Von Amory Burchard Eines verstehe ich nicht, sagt Anni Wolff, als sie in einem muffigen Lagerraum vor den Möbeln ihres Onkels Max steht. Wieso konnte er das schwere Eichen-Bufett, die sechs Stühle und den runden Tisch so lange behalten?

Von Amory Burchard

Eines verstehe ich nicht, sagt Anni Wolff, als sie in einem muffigen Lagerraum vor den Möbeln ihres Onkels Max steht. Wieso konnte er das schwere Eichen-Bufett, die sechs Stühle und den runden Tisch so lange behalten? Als ihre Eltern nach Theresienstadt deportiert wurden, hatten sie doch kein einziges Stück mehr aus der großen, alten Weddinger Wohnung in der Prinzenallee 58. „Sie mussten alles abgeben und wurden zusammen mit anderen jüdischen Familien in immer kleinere Wohnungen gepfercht,“ erfuhr Anni Wolff, die 1936 nach Palästina ausgewandert war, aus Briefen ihrer Eltern. Wie aber war es bei Onkel Max?

Anni Wolff weiß nur, dass er und seine Frau deportiert wurden und nicht zurück kamen. Ihre 14-jährige Tochter hatten sie 1938 noch mit dem Kinder-Transport nach England schicken können. Die Möbel blieben in Berlin zurück. Jetzt hat die heute 89-jährige Anni Wolff sie zum ersten Mal nach beinahe sieben Jahrzehnten wiedergesehen: In einem Bunker am Blochplatz in Wedding, wo sie eingelagert sind. Bevor sich der entrechtete ehemalige Hutfabrikant Max Gattel von seinen Möbeln und von seinem Berlin verabschieden musste, hatte er einen letzten Vertrag mit einem alten Kunden gemacht.

Es war ein Vertrag auf eine Zukunft in Berlin: Herr Häsner, Inhaber eines Weddinger Herrenkonfektionsgeschäftes, kaufte Gattels Möbel für tausend Mark. Wenn er aus dem Lager zurückkommen würde, sollte Max Gattel seine Möbel wiederhaben. Das Esszimmer blieb bei den Häsners. Niemand fragte nach ihnen. Zuletzt lebte Häsners Tochter Ellen Harendt mit einigen Stücken aus Max Gattels letzter Wohnung – bis ihr das Erbe zu schwer wurde und sie es dem Bezirksamt Mitte übergab.

Wenn Anni Wolff die Möbel ihres Onkels sieht, wird für sie die Zeit in der Prinzenallee 58 wieder lebendig. Onkel Max, erinnert sie sich, wohnte mit seiner Familie im ersten Stock des Vorderhauses. Anni und und ihre Schwester Lotte lebten mit ihren Eltern im Hochparterre. Statt eines Hinterhauses gab es eine Fabrik. Das war die Hutfabrik Gattel, die ihr Vater Richard und ihr Onkel Max 1890/91 gebaut hatten.

„Diese Möbel“, sagt Anni Wolff im Bunker am Blochplatz, „erzählen viel mehr als die Geschichte der Shoa“. Sie sieht ihren schlanken, nicht eben hochgewachsenen Onkel Max vor sich, der lange ein lustiges Jungesellenleben geführt hatte, bevor er heiratete. Der eloquente Onkel reiste durch Europa, um die hochwertigen Herrenhüte der Gattelschen Fabrik en gros zu verkaufen, während Annis Vater in der Prinzenallee die Geschäfte führte. Wenn der Onkel von seinen Reisen nach Hause kam, luden er und seine Frau Freunde und Geschäftspartner ein. „Onkel Max konnte ganze Gesellschaften unterhalten, er war intelligent und witzig, und er konnte Tierstimmen nachmachen.“

Als Anni Wolff ihrem Sohn 1988 die Wurzeln der Familie zeigen sollte, betrat sie erstmals wieder das Fabrikgelände. Dort war vor wenigen Jahren ein „Nachbarschaftshaus“ entstanden, ein Begegnungsprojekt für Menschen mit und ohne Behinderungen. Anni Wolff und ihr Sohn betraten das Nachbarschaftscafé. „Was kann ich für sie tun?“ fragte eine junge Frau. „Ich habe hier mal gewohnt, und das hier war das Kontor meines Vaters“, antwortete die alte Dame. Wenn Anni Wolff heute zu Besuch kommt, wohnt sie in der Gästewohnung des Nachbarschaftshauses. Auch die Möbel ihres Onkels sollen dorthin zurückkehren – wenn es gelingt, im Vorderhaus eine weitere Wohnung für Gäste anzumieten. So richtig gefallen haben Anni Wolff die schweren Möbel ihres Onkels aber nie. „Wir waren ja mehr fürs Bauhaus.“

Anni Wolffs Lebensgeschichte im Internet unter www.spinnenwerk.de/verband.htm ; Zugang zum Bunker am Blochplatz mit Berliner Unterwelten e.V., Infos unter 3150 9865

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