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Gesamtberliner. Harald Wolf, Senator und Linken-Spitzenkandidat, stammt aus dem Westen und lebt im Osten. Seine Partei ist aber nach wie vor nur in einer Stadthälfte stark.

© dapd

Die Linke in Berlin: Im Osten gestartet, im Westen nie gelandet

Zehn Jahre hat die Linke Berlin mitregiert. In der ganzen Stadt zu Hause ist die Partei aber noch nicht. Im Osten schrumpft die alte Basis, die Westausdehnung ist auf niedrigem Niveau stehengeblieben.

Die Szene kürzlich vor dem Einkaufszentrum Neukölln Arcaden ist typisch. „Die sozialen Ziele, für die die Partei steht, finde ich gut“, sagt der junge Mann, der sich im Vorbeilaufen am Wahlkampfstand der Linken ein paar Faltblätter in die Hand drücken lässt. „Aber mit den Köpfen habe ich meine Probleme – vor allem mit denen, die in der Bundespartei für Castro schwärmen und die Mauer rechtfertigen.“

Reaktionen wie diese bekommen die Wahlkämpfer der Linken in diesen Wochen immer wieder zu hören, vor allem in den westlichen Bezirken. Symptom für eine paradoxe Situation: Fast zehn Jahre lang hat die Partei, anfangs noch als PDS, die Hauptstadt regiert und dabei – auch nach Meinung vieler Berliner ohne Linken-Affinität – einen ordentlichen Job gemacht. Sie hat der von der Bankenkrise erschütterten und tief verschuldeten Stadt zusammen mit der SPD eine Sparkur mit sozialen Akzenten verordnet und sich von der Oppositions- zur Regierungspartei gemausert. Und vor allem ihre Senatoren, Harald Wolf, Katrin Lompscher und Carola Bluhm, stehen für eine Politik, in der Ost und West keine Rolle mehr spielten, wie ihnen auch der FU-Politikwissenschaftler Gero Neugebauer bescheinigt, der sich lange mit der Partei beschäftigt hat. Die Linke habe sich um die Einheit der Stadt verdient gemacht, sagt er: „Ihre größte Leistung ist die Integration des Ost-Protestpotenzials.“

In der ganzen Stadt angekommen ist sie trotzdem nicht. Nicht nur Plakate wie jenes mit der umstrittenen Parole „Mieter vor Wild-West schützen“, für das sich Spitzenkandidat Harald Wolf derzeit vor allem im Westen immer wieder rechtfertigen muss, zeigen, wie weit die Linke noch davon entfernt ist, als Gesamtberliner Partei wahrgenommen zu werden. Das einst mit viel Optimismus gestartete Projekt Westausdehnung ist auf niedrigem Niveau stehengeblieben: Nach dem Berlin-Trend von Infratest Dimap käme die Linke im Westteil derzeit nur auf vier Prozent der Stimmen – gegenüber 22 Prozent im Osten. Die Partei stagniert damit in West-Berlin auf dem Niveau, das sie bei der Wahl 2006 erreichte – was einer der Gründe sein könnte, falls es am 18. September nicht dafür reichen sollte, von der SPD zum dritten Mal als Koalitionspartner auserkoren zu werden. Und das, obwohl die Linke inzwischen mit der WASG fusionierte, die 2006 als Konkurrentin noch knapp drei Prozent der Stimmen verbuchen konnte.

Dabei gibt es von Bezirk zu Bezirk Unterschiede. In Neukölln zum Beispiel ist die Linke traditionell stärker, bei der letzten Abgeordnetenhauswahl kam sie dort auf fünf Prozent. Alle paar Tage tritt ein neues Mitglied ein, berichten Werner Halbauer vom Bezirksvorstand und die Rixdorfer Kandidatin May Naomi Blank, während sie vor den Neukölln Arcaden Broschüren verteilen. 300 Mitglieder zähle die Partei im Bezirk inzwischen, drei Mal so viele wie vor fünf Jahren. Darunter sind viele Jüngere, die Grabenkämpfe zwischen PDS und WASG verlören daher an Bedeutung. Die West-Berliner Mitgliedschaft schätzt Parteisprecher Thomas Barthel auf 1000, berlinweit zählt die Linke knapp 9000 Mitglieder.

Wieso die Linke trotz zehn Jahren Regierungsarbeit nach wie vor als Ost-Partei wahrgenommen wird? Parteienforscher Neugebauer erklärt es damit, dass diejenigen West-Berliner, die einst auf Verbesserungen durch die Linke gehofft hatten – Hartz-IV-Empfänger, Protest-Aktivisten – die Partei inzwischen als Teil des Establishments sehen. Und das eine Thema, mit dem sich die Linke noch von der SPD abheben will, der Mieterschutz, sei im Wahlkampf „unglücklicherweise in ein Ost-West-Thema verwandelt“ worden. Im Osten schrumpft derweil die alte Basis. Bei der Wahl 2006 bekam die Linke in den östlichen Bezirken noch 28,1 Prozent der Stimmen, im aktuellen Berlin-Trend von Infratest dimap sind es nur noch 22 Prozent.

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