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Berlin: Im Puppenkörbchen Nahrung geschmuggelt Mit fünf half Waltraud Mehling versteckten Juden:

Eine der „stillen Helden“ erzählt

Waltraud Mehling nimmt sich klein aus neben dem bronzenen Bären im prunkvollen Eingangssaal des Alten Stadthauses in Mitte. Mit 75 Jahren ist sie wieder in dem Haus, in dem sie jahrelang gewohnt hat und an dem viele Erinnerungen hängen – vielleicht die wichtigsten ihres Lebens. Als Kind hat sie in den Sälen und Fluren des Verwaltungsgebäudes gespielt, in denen heute die Innenverwaltung residiert. Ihr Vater war im Haus Elektro- und Schlossermeister mit Dienstwohnung. Ihre Eltern versteckten im Keller von 1933 bis 1945 Juden, um sie vor der Deportation zu bewahren.

Es begann mit den getauften Juden aus der benachbarten Parochialkirchengemeinde. Auch sie unterlagen den NS- Rassegesetzen und versuchten auszureisen. Bis die Visa bewilligt waren, versteckten sie sich im Keller des Stadthauses. Danach war der Keller ständig von immer wechselnden Juden bewohnt, die dort Unterschlupf suchten – bis zum Kriegsende.

Mit fünf wurde Waltraud Mehling von ihren Eltern eingeweiht, ab da brachte sie den Versteckten regelmäßig in ihrem Puppenkörbchen Essen. „Ich konnte mich als Kind viel unauffälliger im Haus bewegen als meine Mutter“, erzählt sie Schülern des John-Lennon-Gymnasiums und der Georg Friedrich Händel Oberschule. Innensenator Ehrhart Körting hatte die Schüler ins Stadthaus eingeladen, um etwas über die „stillen Helden“ zu erfahren – „jene, die sich uneigennützig in Gefahr brachten, um anderen zu helfen“.

Für die Mehlings war die Gefahr besonders groß, nachdem der Hausmeister im Stadthaus die Gestapo auf die Familie aufmerksam gemacht hatte, woraufhin sie überwacht wurden. Schließlich kam es zur Hausdurchsuchung. „Es blieb uns nichts anderes übrig, als die Juden in einem Tiefkeller unter dem Turm zu verstecken, aus dem sie nicht wieder herausgekommen wären, wenn man uns verhaftet hätte“, erzählt Waltraud Mehling. Aber es ging vorerst gut. Doch der Vater wurde später verhaftet und in ein Strafbataillon gesteckt, aus dem er schwer krank heimkehrte. Er erholte sich nie mehr.

Die sechs Schützlinge im Keller mussten ständig versorgt werden: Bis zur Einführung von Lebensmittelkarten bei Kriegsbeginn sorgte Probst Bernhard Lichtenberg von der St. Hedwigs-Kathedrale für die Beschaffung von Lebensmitteln, nach seiner Verhaftung übernahm der Probst der Marienkirche, Heinrich Grüber, die Hilfe. Über ihn lernten die Mehlings Rabbi Martin Riesenburger kennen, der nach der so genannten Fabrikaktion im Februar 1943 junge Berliner Juden auf dem jüdischen Friedhof in Weißensee versteckte. Waltraud Mehling und 20 andere Jugendliche versorgten über zwei Jahre die Eingeschlossenen auf dem Friedhof mit Essen, warmer Kleidung und Decken. Die Eingeschlossenen kampierten zwischen den Gräbern oder schliefen in den Grabmalen, ohne je ein Feuer machen zu können, um sich zu wärmen. Bis auf einige wenige, die an Krankheiten starben, haben alle 250 bis 300 Menschen das Kriegsende auf dem Friedhof erlebt.

Harald Olkus

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