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Friedrichstraße

© Spiekermann-Klaas

Im Quartier: "Für jede Fläche gibt es zehn Leute, die warten"

Die Zahl der Besucher hat sich verdreifacht, Leerstand ist kein Thema mehr: Die Friedrichstraße hat sich zum lukrativen Standort entwickelt.

Im Lichthof, rund um die lackierte Schrottsäule aus Autoteilen, geht es wieder um Geschäfte. Bei Sandwiches und Aufläufen, indischer Reispfanne oder hausgemachter Soljanka des „Foodcourt“ nebenan debattieren Büroleute am Mittag über Kurse, Prozente und Verträge, Touristen über die Läden der Friedrichstraße, das Gedränge auf den Bürgersteigen. Eines ist – auch in den Geschäften – offenbar kein Gesprächsthema: der am Wochenende bekannt gewordene Verkauf des Geschäftshauses „Quartier 205“ zwischen Tauben-, Charlotten- und Mohrenstraße für 275 Millionen Euro an den Investor Armancia Ortega und spanische Banken.

Die Geschäfte rund um den Lichthof sind gut besucht, Leerstand ist nicht zu sehen, die Büros sind vermietet, etwa an die Coca-Cola-Zentrale. In Läden wird auffallend viel Mode angeboten, in Boutiquen, auch von H&M und Benneton.

Immobilienfachmann Gottfried Kupsch wundert sich nicht, dass die Firma Tishman Speyer, die sich gestern nicht äußerte, verkauft hat. Es passe zu diesem Unternehmen, lukrativ gewordene Immobilien an Privatleute zu veräußern. Er erwartet in der Gegend noch weitere größere Grundstücksverkäufe. Das internationale Interesse am Grundstückserwerb, das Vertrauen in die Entwicklung der Straße sei gestiegen. Kupsch, der unter anderem im Internet auch das Geschäftsportal der Straße betreut, ist von ihrer steigenden Attraktivität überzeugt. „Die Friedrichstraße läuft, für jede freie Fläche gibt es zehn Leute, die warten.“ Leerstand sei im Kernbereich der Friedrichstraße zwischen der Leipziger Straße und Unter den Linden kein Thema mehr. „Vor zwei Jahren hätte man das Quartier nicht so gut verkaufen können. Die Entwicklung hat sich gedreht.“ Es gebe hier Geschäfte, die machten bessere Umsätze als ihre Filialen am Kurfürstendamm.

Nach jüngsten Berechnungen sind stündlich 4000 Menschen auf den Gehwagen unterwegs, das sind fast dreimal so viel wie noch zu Beginn letzten Jahres. Damit kommen fast die Spitzenwerte der Tauentzienstraße in Reichweite – dort sind es 7000 pro Stunde. Außerdem verstärkt die Enge der Friedrichstraße den Eindruck, dass es hier immer voller wird. Die Mieten für den Büroquadratmeter liegen bei 20 Euro, die für vergleichbare Handelsflächen sind rund fünf mal so hoch.

Die drei größten Geschäftshauskomplexe, von denen jetzt das so genannte Quartier 205 verkauft wurde, sind inzwischen rund zehn Jahre alt. Sie firmieren auch als Friedrichstadtpassagen: Ein Vorläuferbau war von Ost-Berliner Planern kurz vor der Wende im Rohbau fertiggestellt, dann kurz nach dem Mauerfall abgerissen worden. Das Bauwerk wirkte leicht orientalisch und erinnerte an den neuen Friedrichstadtpalast. Es war zurückgesetzt gebaut, verließ die historische Straßenflucht. Die Grundstücksflächen seien nicht variabel genug, ließen sich nicht zeitgemäß nutzen, hieß es nach der Wende. Auch standen Anfang der neunziger Jahre Investoren und international bekannte Architekten bereit, die hier etwas ganz Großes und für Berlin ungewohntes errichten wollten: eine anspruchsvolle Einkaufsmeile, die bis an den Gendarmenmarkt heranreicht. Nach drei unterschiedlichen Konzepten, oberirdisch zwar durch zwei Querstraßen getrennt, unterirdisch aber durch eine Passage verbunden. Der Architekt Oswald Mathias Ungers entwarf das Quartier 205 am südlichen Rand, dem schlossen sich die Quartiere 206 und 207 an, letzteres als gläserne „Galerie Lafayette“ , entworfen vom Architekten Jean Nouvel, bis heute der bekannteste der drei Bauten. Die Neubauten sollten das Signal für den Aufbruch und den Aufschwung der noch verödeten Friedrichstraße sein, sie entsprachen dem städtebaulichen Konzept des früheren Senatsbaudirektors Hans Stimmann für eine verdichtete Stadt, die „gefühlte Enge als Konzept“ – und enttäuschten zunächst die hohen Erwartungen der Investoren und Geschäftsleute. „Ein schwieriger Anfang“, erinnert sich Kupsch. Gerade das Quartier 206 der Fundus-Gruppe hatte mit exklusiven Boutiquen und hohem Anspruch in einer tristen Umgebung voller Baulärm keinen leichten Stand. Die schwarz-weißen Mosaiken und geschwungenen Treppen wollten nicht zum staubigen Umfeld passen. Der neuen Friedrichstraße sagten viele Handelsexperten keine rosige Zukunft voraus, zumal sich anfangs wegen der Baustellen ringsum recht wenig Passanten in die Straße verirrten und nur das Lafayette als Verlockung galt.

Aber das öffentliche Interesse an der Straße wuchs. Sie war eine der bekanntesten Adressen des alten Berlins, bis 2000 schlossen sich die größten Baulücken, über 200 Geschäfte richteten sich an der Straße ein. Belebend für den Handel wirkt, dass die Besucherströme des Gendarmenmarktes an der Straße vorbeiführen. Das Kulturkaufhaus Dussmann hat den Bereich zwischen Linden und Bahnhof Friedrichstraße deutlich vitalisiert.

In den zwanziger Jahren hatte die Straße einen leicht verruchten Ruf, nun ist sie langsam mondän geworden. In viele Wohnungen der Umgebung sind wohlhabende Haushalte eingezogen, etliche Diplomaten, die Kaufkraft an der Straße und der näheren Umgebung ist überdurchschnittlich. Führende Handelsmarken haben ihre Filialen eröffnet. Nur in einigen Nebenstraßen könnte es lebendiger sein. Es gibt auch Warnungen von Maklern an die Geschäftsleute der Straße, sich nicht auf den Lorbeeren auszuruhen.

„Das dauert Jahre, bis so richtig Leben in die Bude kommt,“ hatten Verkäuferinnen bei der Eröffnung des Quartiers 205 gesagt. Die ersten Besucher bewunderten im Lichthof vor allem die Schrottskulptur „Der Turm von Klythie“ des amerikanischen Künstlers John Chamberlain. Auf viele Betrachter wirkten die zerknüllten Autoreste morbide, fast wie ein böses Omen für die Einkaufsmeile Friedrichstraße. Anfangs standen etliche Läden ringsum leer und viele sahen schon spektakuläre Pleiten, fehlende Kundschaft, geplatzte Träume voraus. Das Bild hat sich gewandelt.

Die große Bauphase mit einer Kranlandschaft begann an der Friedrichstraße 1992. Vier, fünf Jahre wurde an den großen Geschäftshausblöcken der Quartiere 205 bis 207 gearbeitet. Sie sollten sich äußerlich deutlich unterscheiden, wurden entworfen von den Architekten Oswald Mathias Ungers, dem Büro Pei, Cobb und Jean Nouvel. Im mittleren Bild ist der Lichthof des Ungers-Baus, den jetzt ein spanischer Investor erworben hat. Experten sehen das als Beispiel dafür, wie lukrativ – anfänglichen Zweifeln zum Trotz – Geschäftsimmobilien an der Friedrichstraße geworden sind.C. v. L.

Christian van Lessen

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