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Nabel der Welt: Spätkauf in der Choriner Straße - hier bei Dreharbeiten zu "Tom Atkins Blues" von Alex Ross (in Blau) - ist mehr als nur ein Laden.

© Promo

Prenzlauer-Berg-Film: Geschichte eines Spätkaufs: Im Reich der Holzregale

Chronik einer angekündigten Pleite: Im Film "Tom Atkins Blues" beschreibt Alex Ross das Ende eines Spätkaufs in Prenzlauer Berg - und ein Stück Gentrifizierung im Bezirk.

Befragte man Londoner Immobilienmakler nach ihrem Lieblingsfilm, läge „Notting Hill“ wohl an der Spitze. Diese blitzhaft wertsteigernde Aufmerksamkeit, die das Viertel dadurch erfuhr – traumhaft. Etwas Ähnliches ist durch die Lowest-Budget-Produktion „Tom Atkins Blues“ von Grimme-Preisträger Alex Ross nicht zu erwarten. Zwar erinnert der pittoreske Spätkauf des Titelhelden ein wenig an das Antiquariat Hugh Grants, zudem stehen beiden ähnlich schräge Vögel zur Seite. Auch die geschilderten Milieus zeigen Parallelen, eine Julia Roberts taucht diesmal aber nicht auf. Und vor allem: Der Film kann nichts mehr anrichten, Prenzlauer Berg ist längst Mode, der Austausch des Nachwendegemenges aus Urbewohnern und Pionieren im Wilden Osten gegen die allgegenwärtigen Anzugträger der Gegenwart ist bereits im vollen Gange.

Gentrifizierung – so nennt man das, ein sprödes Soziologenwort, das der in Berlin lebende Brite Alex Ross, der neben Drehbuch und Regie auch die Titelrolle übernommen hat, in eine melancholisch-unterhaltsame Geschichte verwandelte. „Du bist ein Relikt“, wirft die scheidende, am beruflichen Aufstieg bastelnde Freundin dem in seiner Spätkauf-Nische verharrenden Tom zu. Der Laden sei wie ein Museum, begeistert sich auch eine Geschäftsfrau im Business-Kostüm, die den kuriosen Laden am liebsten gleich als potenzielle Touristenattraktion kaufen will. Für Tom, Brite auch er, den es ins Nachwende-Berlin verschlug, und seine Stammkunden aus dem Kiez ist der Laden weit mehr: der „Nabel unserer Welt“, Treffpunkt nicht nur zum Kaufen, sondern zum Abhängen, Plaudern, Leute Kennenlernen – eine kleine Fluchtburg gegen die Zumutungen des Alltags, an deren Rollläden die neue Zeit heftig rüttelt: Auch der nahe Supermarkt hat die Spätkunden entdeckt, öffnet nun bis Mitternacht – Pech für Toms Reich der hölzernen Regale. Es passiert nicht viel in diesem nur 78-minütigen Film und vor allem nichts wirklich Dramatisches. Eine Milieu- und Zeitstudie, das Porträt eines Stadtteils im Wandel, der sich aber nicht in Statistiken von neuen Sozial-, Einkommens- und sonstigen Strukturen widerspiegelt, sondern im scheinbar banalen, gleichwohl erhellenden Kiezgeplauder an der Verkaufstheke. Dramatisch also nicht, aber doch spannend, unterhaltsam, auch komisch, zudem mit dem Reiz des Authentischen veredelt, ist doch der Film eine Mischung aus Fakt und Fiktion, ein Wechsel aus Spielszenen und dokumentarischen Interviews mit Bewohnern im Umfeld der Choriner Straße 12, wo sich der Drehort befindet. Mittlerweile ist er mehr ein Café als ein Spätkauf, auch in der Realität hat die neue Supermarkt-Konkurrenz Folgen. Ross hat dort früher selbst gearbeitet, und musste nun den Laden mit dem nur sechsköpfigen Team während der Dreharbeiten nebenbei selbst betreiben. Ohnehin wäre der Film ohne ein Netzwerk aus Freund- und Gönnerschaften nicht zustande gekommen: Mit einem 2000-Euro-Budget kommt man nicht weit.

So sehr der „Tom Atkins Blues“ die verblassende Zeit der Nachwendejahre feiert, in wehmütiger Nostalgieseligkeit verharrt er nicht, auch wenn die Vertreter der neuen Zeit mitunter etwas klischeehaft ausgefallen sind. „The times they are a-changin“, das weiß auch Filmemacher Ross. „Man muss sich ändern, sich neu erfinden“, resümiert er die Botschaft des Films. Selbst sein passiver Held Tom Atkins bekommt das zuletzt mit – und eröffnet einen Plattenladen: „Ich bin weitergezogen, anders als manch anderer.“

Ab heute bis 1. September in Acud, Eiszeit und Sputnik. Nach der Vorführung im Acud am Freitag, 21 Uhr, gibt es ein Gespräch mit der Filmcrew.

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