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Demonstrativ. „Mehr Tram wagen!“ forderten die Grünen mit Renate Künast im letzten Sommer. Noch hat sie sich nicht entschieden, ob sie bei der Abgeordnetenhauswahl 2011 für ihre selbstbewusst erstarkte Partei antritt.

© Thilo Rückeis

Die Grünen: Klaus Wowereit ablösen - vor fünf Jahren

Vor fünf Jahren wollten die Grünen Klaus Wowereit ablösen, am liebsten mit Renate Künast. Sie wurden stärker und stärker – aber warum? Was Sabine Beikler damals darüber schrieb.

Von Sabine Beikler

Seit Monaten legen die Grünen in den Umfragen kontinuierlich zu und erreichen Werte von über 20 Prozent. In einer Forsa-Umfrage Anfang des Monats waren die Grünen mit 23 Prozent sogar zweitstärkste Partei in Berlin, hinter der SPD mit 26 Prozent. Parteienforscher prognostizieren, dass die Wählergunst in Berlin für die Grünen weiter wachsen wird. Was machen die Grünen anders als andere Parteien? Wofür steht die Öko-Partei? Und wieso ist Grünen-Fraktionschefin Ramona Pop, erst ein halbes Jahr im Amt, schon beliebter als Klaus Wowereit? Den Regierenden Bürgermeister kennen fast 100 Prozent der Berliner, nur jeder Dritte aber kennt Frau Pop.

Dass die Grünen eine immer größer werdende Konkurrenz darstellen, registriert Wowereit auf besondere Art: Am Donnerstag attackierte er im Parlament Ramona Pop ausgesprochen scharf. Nach ihrer Rede könne er verstehen, dass grüne Parteimitglieder Sehnsucht nach Renate Künast hätten. Auf dem Niveau von Frau Pop seien die Grünen nicht regierungsfähig. „Können Sie Frau Künast nicht früher zurückholen?“, rief der SPD-Politiker. Bei dieser vieldeutigen Aussage mussten nicht nur grüne Politiker grinsen: Sollte Künast tatsächlich als Spitzenkandidatin für die Abgeordnetenhauswahl 2011 ins Rennen gehen, wird sie dem SPD-Spitzenkandidaten Wowereit Stimmen abnehmen. Künast will sich im Herbst entscheiden. Voraussetzung für eine Kandidatur sind gute Umfragewerte und die absolute Unterstützung aller Parteiflügel im Wahlkampf .

Die Voraussetzungen sind gut. Ideologische Flügelkämpfe zwischen Linken und Pragmatikern gibt es in der Partei nicht mehr. Die Realos sprechen von „Burgfrieden“, da alle die „Aufgabe“ erkennen. Die Aufgabe – das heißt für 2011: Mitregieren. „Wir arbeiten kooperativ miteinander“, sagt Grünen-Politiker Dirk Behrendt vom linken Flügel der Partei. Die Wählertendenz zu Rot-Grün gehe genau in die „gewünschte Richtung“. Grün-schwarze oder schwarz-grüne Gedankenspiele seien nicht realistisch. Und mit Künast haben die Parteilinken auch keine Probleme – die Frauen ebenfalls nicht. Parteienforscher Richard Stöss sagt, vor allem junge Frauen würden die Grünen wählen. Jung, modern, dynamisch: Das verkörpere Ramona Pop. „Diejenigen, die sie kennen, schätzen ihre Politik“, erklärt Stöss die Differenz zwischen Pops Beliebtheits- und Bekanntheitsgrad. Berlin ist für die Grünen ein besonderes Feld: Die Partei muss hier einen Spagat zwischen dem originär linken grünen Milieu und arrivierten, „grün“ denkenden Bürgerlichen machen. Das gelingt ihnen aus mehreren Gründen. Die Grünen haben ein Alleinstellungsmerkmal: Libertäre Werte verbinden sie mit sozialer Gerechtigkeit. Die grüne Leitlinie, der Green New Deal, verbindet Wirtschaftspolitik mit ökologischen Prinzipien – das unterstützt die neue, immer größer werdende libertäre Mittelschicht, die die Grünen nicht nur als „Öko-Partei“ sieht und für Selbstentfaltung, Wahrung von Freiheitsrechten und Generationengerechtigkeit eintritt. Diese Werte sind der SPD nicht so wichtig, sie tritt dafür nicht so offensiv wie die Grünen ein, betonen Parteienforscher. Und individualistische Positionen, wie sie zum Beispiel die FDP hochhält, sind laut Stöss in Krisenzeiten im Bürgertum stark abnehmend. Denn das Gefühl der Unsicherheit nimmt zu. „Die Grünen sind die einzige Partei, die authentisch dieses Bewusstsein für die Risiken vermittelt“, erklärt Stöss. Hinzu kommt noch das Wählerpotenzial aus dem studentischen, grün orientierten Milieu in Berlin.

Die Grünen sind sehr selbstbewusst geworden und sich ihrer Schlüsselstellung im Fünfparteiensystem bewusst. Sie mögen es nicht, wenn man ihnen nicht auf gleicher Augenhöhe begegnet. Politikwissenschaftler Oskar Niedermayer spricht von „traumatischen Erlebnissen“, die die Grünen in Berlin mehrfach durch die Zurückweisung der SPD erfahren mussten. Respektvoll dagegen seien die Partei und ihre Protagonisten zum Beispiel vom Ersten Bürgermeister von Hamburg, Ole von Beust (CDU), während der dortigen Koalitionsgespräche behandelt worden.

Vielleicht hat ihr Berliner „Trauma“ die Partei bewogen, in ihr Programm, das noch nicht offiziell vorliegt, neben Wirtschaft, Klimaschutz, sozialer Stadt auch „Green governance“ aufzunehmen: mehr Bürgerbeteiligung und das Einstehen für eine andere politische Kultur in der Stadt. Es solle „nicht weiter von oben herab regiert werden“, sagt ein Grüner.

„Koalitionspolitisch öffnen sich die Grünen, haben aber eine eigenständige Position und treiben den Preis langsam hoch“, sagt Niedermayer. Deshalb werden die Grünen auch in Berlin keine Koalition kategorisch ausschließen. „Wir verbeißen uns nicht farbenmäßig“, sagt der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland. „Berlin soll grün regiert werden mit einer grünen Bürgermeisterin. Und wir betreiben keine Ausschließeritis. “

Der Beitrag erscheint in unserer Rubrik "Vor fünf Jahren".

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