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Berlin: Immer in Bewegung, nie zu übersehen

Institution und Instanz zugleich: Brigitte Grunert hat als Journalistin drei Jahrzehnte Berliner Politik begleitet – berlinerisch nüchtern, nie unfair und stets auf den Punkt gebracht. Eine Würdigung.

Es gehört zu den journalistischen Allerwelts-Weisheiten, dass es leichter ist, einen Präsidenten zu kritisieren, dem man allenfalls im Fernsehen begegnet, als die Politiker, denen man täglich über den Weg läuft. Auch ist nicht ausgemacht, was schwerer zu beurteilen ist – die Zukunft Europas, die ein weites Feld ist, oder der Berliner Haushalt und das Innenleben einer Fraktion. Womit angedeutet sein soll, dass der Journalismus auf der Ebene von Rathaus und Landespolitik vielleicht doch die handfesteste, fordernste Form dieses schwierigen Gewerbes ist. Man hat Kenntnisse und rasche Auffassungsgabe nötig, weil man im Unterholz von Daten, Paragraphen und Verordnungen stecken bleibt. Es bedarf Unabhängigkeit und Standvermögen, denn man sieht das Weiße im Auge seiner Objekte. Man braucht, was Brigitte Grunert hat.

Dass die Rathaus-Reporterin des Tagesspiegels am Ende des vergangenen Monats aus dem Berufsleben ausgeschieden ist, stürzt Zeitung, Berliner Politik und die Leser des Tagesspiegels in nicht geringe Schwierigkeiten. Wie soll man sich die Zeitung ohne ihre Artikel vorstellen? Einen Sonnabend ohne ihr „Hinter den Kulissen“? Wie umgekehrt die Berliner Politik ohne die Spiegelung in ihren Berichten und Kommentaren? Wie, nicht zuletzt, Senats- und Parlaments-Pressekonferenzen ohne ihre Fragen? Es ist ja nicht nur, dass sie seit rund dreißig Jahren in der Berliner Politik ihr Wesen treibt, dreiundzwanzig davon für dieses Blatt. Es ist der Umstand, dass sie in dieser Zeit zur Institution und Instanz gleichermaßen geworden ist.

Schwer zu entbehren ist sie aber auch als Typ und Temperament. Kennzeichnend die Geschichte des Senatssprecher, dem, Berlin-Novize, der er war, alle anderen Rathaus-Journalisten vorgestellt wurden, für Brigitte Grunert aber genügte der Hinweis: „die erkennst du selber“. In der Tat: Wenn Billy Wilder eine Reporterin zu besetzen gehabt hätte – etwa in seiner Berlin-Ballade „Eins,zwei,drei“ -: sie hätte etwa ausgesehen wie Brigitte Grunert. Eine kleine Person mit flammend rotem Haar, immer die Kladde für ihre Notizen in der Hand, immer präsent, immer in Bewegung, nicht zu übersehen, nicht, auch dies, zu überhören. Wer sie einmal beobachtet hat, wie sie einen Politiker befragte, der wohnte der Übersetzung des ehrwürdigen Mottos dieses Blattes, des rerum cognoscere causas, des Den-Dingen-auf-den Grund-Gehens in die Prosa des Journalismus bei.

Dazu passt die Autorin Brigitte Grunert. Die Sätze kommen schnell, kurz, kräftig, der Gedankengang ist unverschnörkelt, kommt rasch zur Sache, setzt ganz auf die Argumente. Aber nichts von dem, was heute Journalismus gelegentlich schwer erträglich macht – nicht die Häme, dieses beliebte Journalisten-Gewürz, kein verbales Aufplustern, keine Witzeleien. Dafür ist alles unterfüttert vom jahrelangen Umgang mit den Themen. Ihre Leitartikel zum Beispiel zum Berliner Haushalt, Jahr für Jahr in treuer Pflichterfüllung geschrieben, waren Standort-Bestimmungen der Stadt auf höchstem Niveau. Es war darin alles über ihre Krise gesagt, was angeblich - bis zum Offenbarwerden der Katastrophe - niemand gesagt hat.

Erst recht ist die Fragerin legendär geworden, in den Pressekonferenzen wie im Interview oder im beiläufigen Gespräch auf dem Gang. Ihr resoluter Ton, berlinisch nüchtern, mit einem Unterton von Insistenz – kein Politiker, der sie nicht ein bisschen gefürchtet, keiner, der sie nicht respektiert hätte. Denn Unfairness hat Brigitte Grunert nie jemand nachgesagt. Ebenso wenig die Teilnahme an den beliebten Spielchen des Hintertragens und Gerüchte-Verbreitens. Überhaupt ist es fast das Wichtigste, was über sie zu sagen ist, dass sie, die so nahe an der Politik war, nie der Versuchung anheimgefallen ist, selbst Politik zu machen, Partei zu nehmen. Außer für Sachlichkeit, Klarheit, Vernunft.

Und dann sind da noch die „Kulissen“, ein journalistischer Markenartikel – und eine große, oft unterschätzte Leistung. Das Prädikat gebührt ihnen schon deshalb, weil die Kolumne rekordverdächtig ist: Brigitte Grunert hat sie bald dreißig Jahre lang geschrieben, Woche für Woche, erst für den „Abend“, dann unter dem klassischen Titel im „Tagesspiegel“. Aber auch, weil sie der Politik, die oft eine sehr menschliche, allzumenschliche Sache ist, mit dem Blick aus den Sitzungssälen, Kantinen und Sekretariaten eine persönliche Dimension gab. Das war immer mehr als Klatsch und Tratsch – was es auch war, Gott sei Dank. Darin steckt auch ein kleines Bestiarum der Politik und der Politiker, aufgezeichnet von einer Jägerin, die dieser Welt mit Witz und Spürsinn und Anekdotenlust unermüdlich nachgestellt hat.

Der Grund, auf dem diese erstaunliche Journalistin steht, fest mit beiden Beinen, ist – keiner, der sie kennt, wird es bezweifeln - ihr Berlinertum. Es erschöpft sich nicht in der Vertrautheit mit dem Dialekt, über den sie in diesem Blatt eine Serie geschrieben hat, die auch als Buch ein hübscher Erfolg geworden ist. Sie strahlt es aus mit ihrer Beherztheit und Munterkeit. Sie hat diese Stadt in sich, vermittelt durch das Miterleben ihres neueren Schicksals - Geburt in Pankow, also im Osten, Kinderjahre, kriegshalber, im märkischen Werneuchen, „dem kargen, aber auf immer geliebten“, Flucht in den West-Teil, das Ostschüler-Abitur in Schöneberg, das FU-Studium, von dem es stante pede in den Journalismus ging. Da weiß man, dass das heutige Berlin ohne seine Herkunft nicht zu verstehen ist. Brigitte Grunert hat es in diesem Blatt mit ihren historischen Beiträgen dokumentiert.

Durchaus mit diesem Bewusstsein der strapaziösen, widerspenstigen Geschichte Berlins hat sie als Journalistin drei Jahrzehnte Stadtpolitik begleitet. Die Wenden und Wirren West-Berlins im Schöneberger Rathaus, vergleichsweise idyllisch, wie sie sich in dem Kosewort von der „Kolchose“ für das Biotop der Parlamentsberichterstatter spiegeln, Brigitte Grunert immer mittendrin. Den großen Schritt ins vereinte Berlin, ins Rote Rathaus und in den Preußischen Landtag.

Bisher konnte man sagen: Regierende Bürgermeister kommen und gehen, Brigitte Grunert bleibt; sieben waren es übrigens, von Klaus Schütz bis Klaus Wowereit. Viele Konstanten hat diese Stadt mit ihrer bewegten Geschichte ja nicht zu bieten. Brigitte Grunert, die kleine große Dame des Berliner Journalismus, war eine.

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