zum Hauptinhalt

Berlin: Immer mit dem Werkzeugkoffer

Seit 50 Jahren ist Otto Dühring Hausmeister im Lucullus-Haus, Kurfürstendamm 200 – diese Adresse ist sein Leben

„Ja, hier Otto“, meldet er sich kurz am Handy, und schon saust er aus seiner Werkstatt im Hof ins Café vorn im Haus. Da tropft gerade der Wasserhahn. Wie er so loswetzt, kurzärmelig und in Jeans, den Werkzeugkasten im Griff, wirkt er wie ein flotter Fünfziger. Otto Dühring aber ist mit 71 Jahren wohl einer der ältesten Hausmeister Berlins, und das auch noch an einer der besten Adressen der Stadt: Kurfürstendamm 200.

„Auf die Adresse bin ich stolz“, sagt Otto Dühring. „Jeder Tourist geht an unserem Haus vorbei.“ Unser Haus – das ist eigentlich sein Haus, von dem er jede Ecke kennt, fast jeden Stein. Und in dessen oberster Etage er wohnt, mit Partnerin Monika. An diesem Montag steht er der Familie Witte, der das Haus seit den frühen Fünfzigern gehört, genau ein halbes Jahrhundert zu Diensten.

Das „Lucullus-Haus“ zwischen Knesebeck- und Bleibtreustraße ist nicht eines unter vielen, sondern eines, das sich vielen älteren West-Berlinern eingeprägt hat. Es waren vor allem die Geschäfte und ihre markanten Schriftzüge, die sich mit dem Bild des Kurfürstendamms der ersten Nachkriegsjahrzehnte verbanden: „Lucullus“ für Küchenbedarf und „Modelinchen“ für Kindermoden. Diese Namen waren stadtbekannt. Bei Lucullus etwa bestellten Schauspielgrößen wie Grete Weiser und Rudolf Platte ihre ersten Einbauküchen, und Modelinchen war unter jungen, modebewussten Mädchen geradezu Kult. Hier wurde die kleine Cornelia „Conny“ Froboess eingekleidet, nachdem sie „Pack die Badehose ein“ zum Hit gemacht hatte.

Aber bis 1954, als der „Ur-Charlottenburger“ Otto Dühring hier als Küchenmonteur und Fahrer anfing, war das Haus der Familie Witte, der auch das Lucullus-Geschäft gehörte, noch eine Kriegsruine, die oberen Etagen mussten aufgebaut werden. Der gelernte Autosattler Dühring half nach Feierabend beim Mauern mit, das ging recht langsam voran, erst 1956 war der oberste Stock fertig. „Solide steingebaut, glatter Putz“.

Zwei Häuser weiter, an der Ecke Bleibtreustraße, begann fast zeitgleich die Planung für das große MGM-Kino, in dem es vor allem Zeichentrickfilme wie „Tom and Jerry“ zu sehen gab. Für Dühring war es „mein Kino“. Aber nicht nur mit dem MGM, das bald wieder abgerissen wurde, auch mit Lucullus und Modelinchen war in den siebziger, frühen achtziger Jahren Schluss. Großmärkte boten Vergünstigungen, auch der renommierte Einzelhandel bekam zum ersten Mal die wachsende Macht der Handelsketten zu spüren.

Dühring, mit dem Kurfürstendamm geradezu verwachsen, hat wehmütig beobachtet: „Die Kundschaft von einst läuft immer wieder vorbei.“ Aus Modelinchen ist ein Drogeriemarkt geworden; ein Juwelier, ein kleines Modegeschäft und ein Café folgten Lucullus’ Spuren. Bei Wittes wächst mittlerweile die vierte Generation heran, die Dühring kennen lernt. „Ich gehöre zur Familie.“ Im Hausflur haben ihm die Enkel des Firmengründers eine goldene Wandtafel gewidmet, „Lucullus Haus, Wiederaufbau 1950, unter tatkräfiger Mithilfe von Otto Dühring“. Auch wenn die Jahreszahl knapp verfehlt ist: Darauf kommt es bei dieser Treue nicht mehr an. „Ja, hier Otto“ soll es noch lange durchs Haus tönen.

Christian van Lessen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false