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Berlin: Immer mit der Ruhe

Wenn es unter Nachbarn kracht, greift in Marzahn eine private „Lärmpolizei“ ein – und schlichtet Streit

Das Stichwort heißt „Haschisch-Dunst im Hausflur“. Thomas Müller (31) und Guido Brandt (30) bekommen die Details für diesen Einsatz in ihrer Schicht über das Handy mitgeteilt. Die beiden Angestellten einer privaten Sicherheitsfirma sind im Auftrag der Wohnungsbaugesellschaft Marzahn (WBG Marzahn) als „Lärmstreife“ für Ruhe, Sauberkeit und Ordnung unterwegs .

Eine Mieterin hatte sich in der Zentrale beschwert, dass sie „schon ganz benebelt“ sei von dem Haschisch-Qualm. Müller und Brandt – beide gestählt durch reichliches Krafttraining – steigen mit ihrer dunkelblauen Arbeitskleidung in ihren silberschwarzen Einsatzwagen und flitzen zu der Adresse in die Havemannstraße. Doch nachdem sie sich minutenlang durch den Hausflur geschnüffelt haben, stellen sie fest: Fehlanzeige – es riecht nicht. Die Nachbarin öffnet die Tür und beteuert, dass „bis eben hier alles zugenebelt war“. Doch Müller und Brandt erklären ihr, dass sie unter diesen Umständen nichts tun können. Zudem macht der angebliche Haschisch-Raucher auch nicht die Tür auf, als sie klingeln. Die beiden fahren wieder davon und warten auf den nächsten Einsatz.

Seit Oktober 2004 bietet die WBG Marzahn ihren Mietern an, bei Problemen wie Lärmbelästigung oder sonstigen Nachbarschaftsstreitigkeiten die Nummer der Lärmstreife zu wählen – von 18 bis 3 Uhr. Seit April decken die Sicherheitsleute den gesamten Bezirk Marzahn ab. Damit sind sie für 23 000 Wohnungen mit knapp 60 000 Mietern der WBG Marzahn zuständig. „Wir wollen, dass Konflikte gelöst werden können, bevor die Polizei gerufen werden muss“, heißt es bei der WBG Marzahn. Bislang sei drei Mietern gekündigt worden, „weil die Nachbarn sich mehrfach über den Krach beschwert hatten und die Streife kommen musste“. Andere Wohnungsbaugesellschaften setzen zwar keine Lärmstreife ein, arbeiten aber zunehmend mit „Streitschlichtern“.

Damit wollen die Gesellschaften verhindern, dass Stress zwischen ihren Nachbarn so sehr ausartet, wie in zwei Fällen, über die kürzlich in den Medien berichtet worden war: Ende März endete ein Streit zwischen Mietern mit einem Messerstich. Ein Bewohner in der Charlottenburger Nehringstraße hatte sich so sehr über den Krach seines Nachbarn geärgert, dass er gegen dessen Wohnungstür trat. Als der Nachbar öffnete und der wütende Bewohner in den Flur eindrang, stach ihm ein Bekannter des Nachbarn plötzlich in den Bauch.

Anfang März war ein promovierter Sprachwissenschaftler wegen versuchten Totschlags angeklagt worden: Der 29-Jährige soll im November vergangenen Jahres seinen Nachbarn in einem Mietshaus in Kreuzberg mit einem Klappmesser niedergestochen haben. Der Grund: Ihm war die Musik in der Wohnung nebenan zu laut.

Die beiden Lärmstreifen Müller und Brandt halten diese beiden Beispiele für „extrem“. Sie selbst haben bei ihren Einsätzen mit Handgreiflichkeiten noch nichts zu tun gehabt. Doch dass die „Hemmschwelle, sich mit dem Nachbarn anzulegen und zu pöbeln“, gesunken ist, das belegen ihre Erfahrung durchaus.

Auch Hartmann Vetter, Hauptgeschäftsführer des Berliner Mietervereins, erstaunt die erhöhte Aggressivität unter Nachbarn nicht. „Die Fähigkeit, sich verbal auseinander zu setzen, geht immer mehr verloren“, sagt Vetter. Viele Berliner seien arbeitslos und hätten genügend Zeit, im Fernsehen zu sehen, „dass Konflikte scheinbar am besten gewalttätig gelöst werden“. Zudem wachse die Frustration über andere, „die ausgelassen feiern. Da ergibt dann schnell ein Wort das andere.“ Auch der Mieterverein vermittelt seinen Mitgliedern speziell geschulte Streitschlichter, wenn es Konflikte gibt; im vergangenen Jahr war das 35 Mal der Fall.

Die Polizei verzeichnet zwar keinen signifikanten Anstieg von Einsätzen bei Nachbarkonflikten. „Aber natürlich haben die Beamten immer wieder damit zu tun“, sagt ein Polizeisprecher. Dabei reiche die Bandbreite von „einfach mal um Ruhe bitten“ bis zur Aufnahme einer Anzeige wegen gefährlicher Körperverletzung. Vor allem in der Sommersaison, wenn auf den Balkonen gegrillt und gefeiert wird, nähmen die Lärm-Einsätze zu.

Der Haschisch-Nebel bleibt auch für Brandt und Müller ein Ausnahme-Einsatz. „Wir haben es fast immer mit Lärm zu tun“, sagt Müller. Die meisten Probleme machten die jungen Leute, die auch unter der Woche Partys feiern, bei denen die Techno-Bässe durchs ganze Haus wummern. Doch Müller und Brandt wissen um ihre „Ausstrahlung“: „Fast immer ist es so, dass die jungen Leute bereits beim Türen-Aufreißen pöbeln“, sagt Brandt. Doch dann stünden sie plötzlich vor den beiden Kraftpaketen – und das reiche meistens schon, um es ruhiger angehen zu lassen.

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