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Berlin: Immer schön sauber bleiben

Kämpfen? Na Logo, aber nur auf der Matte! Ein Besuch beim Jugendprojekt Kiezboom in Wedding

Es dauert nur eine Sekunde. Bevor Muhammed überhaupt nur zucken kann, landet er auch schon auf der Matte. Rumms!

Mit einem Hebelwurf über die Hüfte hat Trainer Murat Lencper den 19-Jährigen auf den Rücken gelegt. „Ihr müsst den Gegner kontrollieren, damit er uns nicht verletzen kann“, sagt Lencper, 32 Jahre alt, „und damit wir ihn nicht verletzen müssen“.

Das Samuraijutsu-Training ist Teil des Antigewaltprogramms bei Kiezboom. Der gemeinnützige Verein für „Jugendhilfe und Völkerverständigung“ in der Reinickendorfer Straße in Wedding hat zum Ziel, die Gewaltbereitschaft bei Jugendlichen einzudämmen und sie davor zu bewahren, in die Kriminalität abzurutschen.

Samuraijutsu ist eine Mischung aus Selbstverteidigungs- und Angriffstechniken verschiedener fernöstlicher Kampfsportarten. „Die höchste Kampfkunst ist es“, sagt Lencper, „nicht kämpfen zu müssen“. Seit 13 Jahren macht er schon diesen Kampfsport. Lencper ist durchtrainiert, trägt kurze Haare, einen Kapuzenpullover. Sein Schüler Muhammed hingegen ist erst seit einigen Wochen dabei, er trägt einen weißen Gürtel. Erfahrung mit dem Kämpfen habe er allerdings schon länger, nicht erst seit seiner Zeit im Boxklub. „Früher habe ich mich öfter mal mit jemandem geschlagen, aber seitdem ich Kampfsport mache“, sagt Muhammed, „da hat das aufgehört“. Er habe jetzt „nicht mehr das Gefühl, mich beweisen zu müssen“.

Das Viertel ist gekennzeichnet von hoher Arbeitslosigkeit, von Gewalt. Kiezboom-Chef Mesut Lencper, der Bruder von Murat, sagt: „Was die Jugendlichen vereint, ist nicht Herkunft oder Religion, sondern die Perspektivlosigkeit.“

Die Lencper-Brüder sind selbst im Kiez aufgewachsen, auch sie kennen nach eigener Aussage das Gefühl, benachteiligt und ausgegrenzt zu sein. Ja, und genauso kennen sie den Gruppenzwang, der einen dazu verleite, bei Dummheiten mitzumachen. Heute haben beide Abitur und eine Ausbildung.

Um die Jugendlichen von der Straße zu holen, bieten sie Kurse an: Boxen und Ringen mit Welt- und Europameistern oder Rap-Workshops. Mesut Lencper ist mit seiner viel beachteten Breakdance-Gruppe „Flying Steps“ sogar Weltmeister geworden.

Der 28-Jährige trägt weite Hosen und einen engen Pullover, der seinen durchtrainierten Oberkörper betont. „Bei uns finden die Jugendlichen Vorbilder, mit denen sie sich identifizieren können“, sagt er. Das gehöre zum Konzept von Kiezboom, genauso wie die Auswahl der Angebote. Denn Freizeitzentren, in denen man nur Kickern oder Tischtennis spielen könne, seien viel zu langweilig.

Zwischen 200 und 300 Jugendlichen nehmen pro Woche an den Aktivitäten teil. Neben dem Sportangebot zählen dazu auch soziale Aktionen wie das Anti- Vandalismusprojekt „Bleib sauber“, bei dem Gebäude im Kiez von Graffiti befreit und in Zusammenarbeit mit Künstlern verschönert werden. „Kiezboom erreicht viele Jugendliche, die andere Einrichtungen nicht mehr erreichen“, sagt Christian Luchmann, Teamleiter des Quartiersmanagements Pankstraße. „Gerade die Lencper-Brüder wirken sehr authentisch auf die Jugendlichen, weil sie aus ihren Reihen kommen, ihre Sprache sprechen und deshalb einfach näher dran sind.“

Doch Kiezboom muss um seine Existenz kämpfen: Der Gashahn wurde abgedreht, weil sie die Rechnung nicht bezahlen konnten. Im kleinen Trainingsraum liegen geliehene Matten, Duschen gibt es genauso wenig wie eine Regelfinanzierung vom Jugendamt. Voraussetzung dafür wären qualifizierte Erzieher oder Sozialarbeiter im Verein. Vieles ist jetzt nur durch ehrenamtliche Helfer möglich.

Dabei schicken Schulen aus dem Umkreis schon mal die Klassen zum „Schulfrühstück“ zu Kiezboom. Da reden die Jugendlichen dann über Gewalt auf dem Schulhof und wie man sie verhindert. Und auch Polizeidirektor Frank Neukamp lobt das Projekt: „Seitdem Kiezboom in der Gegend aktiv ist, gibt es kaum mehr Anwohnerbeschwerden über herumlungernde Jugendliche.“

Es sei nämlich so, sagt Murat Lencper, nachdem er Muhammed auf die Matte geworfen hat:Wenn einen jemand anrempelt, solle man sagen „Sorry, war meine Schuld“. Und dann solle man einfach gehen. Der Schulterwurf sei nur das allerletzte Mittel.

Kontakt und Spendenkonto im Netz:

www.kiezboom.de

Sandra Stalinski

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